Heute Morgen habe ich mich auf den Weg nach Bretzfeld-Schwabbach gemacht. Ich genieße es, über Land zu fahren, besonders wenn der Verkehr nicht so stark ist und die aufgehende Sonne die tolle Landschaft in ein schönes Licht rückt. Es gibt mir Raum zum Nachdenken. Die Fahrt durch das beschauliche Gundelsheim am Neckar weckte Erinnerungen in mir, als ich an einem Haus vorbeifuhr, in dessen Vorgarten eine schwarz-rot-goldene Fahne im Wind flatterte. Die Farben der Nation, die stolz an einem hohen Mast emporragten, lösten eine ganze Welle von Gedanken aus. Was mag diese Familie bewegt haben, diese Fahne zu hissen? Heimatverbundenheit? Nationalstolz? Oder vielleicht eine stille politische Botschaft an die Nachbarschaft?
Diese Gedanken führten mich zurück in die 70er Jahre, in meine Kindheit, in eine Zeit, in der Deutschland noch viel mehr mit seiner Vergangenheit rang. Ich war acht oder neun Jahre alt, ein Kind, das das Leben auf dem Land liebte. Wir spielten oft bei den Bauern in der Umgebung, erkundeten Scheunen, halfen hier und da. Eines Tages erkundeten ein Freund und ich den Dachboden eines alten Bauernhauses. Es war einer dieser Orte, die wie ein kleines Museum der Vergangenheit anmuteten: alte Kisten, verstaubte Bilder, geheimnisvolle Geräte.
Doch an diesem Tag fanden wir eine Kiste, die anders war. Wir öffneten sie, obwohl wir es vermutlich nicht hätten tun sollen. Darin fanden wir Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg: ein großes Bild von Adolf Hitler in einem schlichten Rahmen, eine Hakenkreuzfahne und Bücher, deren Titel uns damals noch nichts sagten, die wir aber instinktiv als gefährlich erkannten. Meine Hände zitterten, als ich die Dinge berührte. Wir wussten beide, dass das, was wir gefunden hatten, irgendwie falsch war, dass es mit Schmerz und Schuld beladen war.
Dann kam die Bäuerin herein. Sie erstarrte, als sie uns mit den Inhalten der Kiste sah. In ihrem Gesicht lag ein Ausdruck tiefster Bestürzung. Sie erklärte uns hastig, dass man diese Dinge hätte verbrennen sollen, aber es nie übers Herz gebracht hat. „Man weiß ja nie, wann man sie nochmal brauchen könnte,“ sagte sie.
Dieser Satz brannte sich in mein Gedächtnis. Er brachte eine Verwirrung in mein junges Herz. Warum sollte man so etwas aufheben wollen? Ich wusste von meinem Elternhaus, dass diese Gegenstände Symbole einer Zeit waren, wo Juden ermordet wurden und unsere Familie von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren. Warum sollte man diese Gegenstände noch einmal gebrauchen wollen? An diesem Morgen, als ich die Deutschlandfahne im Vorgarten sah, kehrten diese Fragen zurück.
Fahnen und ihre Bedeutung
Fahnen sind mächtige Symbole. Sie tragen eine Geschichte, eine Identität, eine Botschaft in sich. In Deutschland wird die schwarz-rot-goldene Fahne oft mit dem Wunsch nach Einheit und Freiheit in Verbindung gebracht, besonders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Land darum kämpfte, sich neu zu definieren. Doch die Bedeutung von Fahnen ist vielschichtig, und nicht jeder, der eine Fahne hisst, hat dieselben Beweggründe.
Deutschland hat eine differenzierte Beziehung zum Nationalstolz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde jede Form von Nationalismus misstrauisch betrachtet, denn der Schatten des Dritten Reiches lag schwer auf dem Land. Relikte wie das Hakenkreuz, die Reichskriegsflagge und andere Symbole des Nationalsozialismus sind seit 1949 gesetzlich verboten. Doch immer wieder tauchen Berichte auf, dass solche Symbole auf Dachböden, in Kellern oder gar an öffentlichen Orten entdeckt werden. Manche Menschen bewahren diese Relikte auf, sei es aus Scham, Trotz oder nostalgischer Verklärung einer dunklen Zeit.
Die Bäuerin, die diese Gegenstände aufbewahrt hatte, war sicherlich keine Ausnahme. Nach dem Krieg hatten viele Menschen Schwierigkeiten, sich von den Symbolen einer Zeit zu trennen, die ihr Leben so grundlegend geprägt hatte. Für manche waren es Erinnerungsstücke an eine verlorene Zeit, für andere eine Möglichkeit, ihre nationalsozialistische Gesinnung im Verborgenen weiter zu pflegen. In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde es zur Aufgabe der deutschen Gesellschaft, sich von diesen Relikten zu distanzieren und eine neue, friedliche Identität zu schaffen. Aber wie wir wissen, bleibt die Vergangenheit oft unter der Oberfläche erhalten.
Die Gefahr des Hissens einer Israelfahne
Heute habe ich dann darüber nachgedacht, welche Fahne ich hissen würde, wenn ich frei wählen könnte. Die Antwort ist klar: Ich würde die Israel Fahne hissen. Für mich symbolisiert sie den Stolz auf ein Land, das trotz unzähliger Herausforderungen seine Identität bewahrt hat und für das Überleben kämpft. Doch in Deutschland wäre dies ein mutiger, vielleicht sogar gefährlicher Schritt.
Antisemitismus hat in den letzten Jahren in Deutschland wieder stark zugenommen. 2023 verzeichnete das Bundesinnenministerium einen deutlichen Anstieg von antisemitischen Straftaten. Besonders die Israelfahne ist oft Ziel von Angriffen. Bei pro-palästinensischen Demonstrationen wird sie verbrannt, jüdische Einrichtungen werden beschmiert oder angegriffen, und in einigen Stadtteilen trauen sich Menschen kaum, ihre jüdische Identität öffentlich zu zeigen. Allein die Vorstellung, dass jemand meine Israelfahne herunterreißen oder gar unser Haus angreifen könnte, weil ich diese Fahne hisse, löst in mir Besorgnis aus.
Es ist ein Paradox: In einer Gesellschaft, die sich selbst als tolerant und weltoffen versteht, sollte es keine Angst geben müssen, seine Überzeugungen zu zeigen. Und dennoch leben wir in einer Realität, in der der Hass auf Israel und auf jüdische Menschen immer noch tief verwurzelt ist. Warum ich meine Israelfahne also nicht hisse? Weil ich das Risiko nicht eingehen will. Mein Leben und das meiner Familie sind mir wichtiger als ein Zeichen zu setzen, das in manchen Kreisen nicht nur Ablehnung, sondern auch Aggression hervorruft.
Ein leiser Protest
Wenn ich an diese Bäuerin und ihre Worte denke, wird mir klar, dass Relikte und Symbole eine enorme Macht haben. Sie tragen eine Geschichte in sich, und wer sie aufbewahrt oder zur Schau stellt, sagt damit mehr über sich aus, als er vielleicht beabsichtigt. Ich denke oft an jene Menschen, die sich trauen, die Fahne ihrer Nation oder ihres Glaubens zu hissen, ungeachtet der Konsequenzen. Ich bewundere ihren Mut.
Doch ich habe mich entschieden, meinen Protest und Solidarität auf eine andere Art und Weise zu zeigen. Meine Unterstützung für Israel, meine Liebe zu diesem Land, zeigt sich in den Artikeln, die ich schreibe, in den Gesprächen, die ich führe, und in den Werten, die ich vertrete. Die Israelfahne, die ich nicht hisse, ist dennoch fest in meinem Herzen verankert.
Am Ende dieses Morgens, als ich an dem Haus mit der Deutschlandfahne vorbeifuhr, wurde mir eines klar: Es geht nicht nur darum, welche Fahne man hisst, sondern warum man es tut – und welche Botschaft man damit aussendet. Für mich ist wichtig: Das Leben geht vor, bringe dich vorsätzlich nicht in Gefahr. Aber tief in mir weiß ich auch, dass der Tag kommen könnte, an dem ich die Israelfahne stolz und ohne Furcht hissen werde. Und bis dahin, liebe Leser, bleibe ich wachsam und frage mich, welche Fahnen wir alle wählen – sei es sichtbar oder unsichtbar.
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