Die Archäologie in Jerusalem hat in den letzten 150 Jahren immer wieder neue, faszinierende Entdeckungen hervorgebracht. Doch eine der bedeutendsten Entdeckungen wurde nun im Herzen der Davidsstadt gemacht, einem der historischsten und umkämpftesten Orte der Welt. Archäologen der Israel Antiquities Authority und der Universität Tel Aviv haben im Jerusalem Walls National Park eine monumentale Befestigungsanlage freigelegt, die ein altes Rätsel löst und das Verständnis der antiken Stadt Jerusalem revolutioniert.
Der Wassergraben: Eine beeindruckende architektonische Leistung
Im Zentrum dieser Entdeckung steht ein gigantischer Wassergraben, der mindestens neun Meter tief und 30 Meter breit ist. Dieser Wassergraben war Teil einer umfangreichen Befestigungsanlage, die Jerusalem in zwei Teile teilte: die Oberstadt, in der sich der Tempel und der Palast befanden, und die Unterstadt, die als Wohngebiet diente. Der Graben wurde in den Felsen getrieben, die senkrechten Wände auf beiden Seiten waren praktisch unpassierbar und stellten somit eine unüberwindbare Barriere dar.
Die Ausgrabungsleiter, Prof. Yuval Gadot von der Universität Tel Aviv und Dr. Yiftah Shalev von der Israel Antiquities Authority, betonten die monumentale Ausdehnung dieser Bauleistung. „Es ist nicht bekannt, wann der Graben ursprünglich angelegt wurde, aber es gibt Hinweise darauf, dass er in den Jahrhunderten genutzt wurde, als Jerusalem die Hauptstadt des Königreichs Juda war, vor fast 3.000 Jahren, beginnend mit König Josia“, erklärte Prof. Gadot.
Historischer Kontext: Die Bedeutung des Grabens
Der Wassergraben diente nicht nur als Verteidigungsmaßnahme, sondern hatte auch eine symbolische Bedeutung. Er unterstrich die Macht und den Einfluss der Herrscher Jerusalems, die in der Lage waren, die natürliche Topographie der Stadt drastisch zu verändern. Dies zeugt von den technischen Fähigkeiten und Ressourcen, die diesen Herrschern zur Verfügung standen.
In der Zeit des Ersten Tempels, als Jerusalem die Hauptstadt des Königreichs Juda war, war der Graben ein zentraler Bestandteil der Stadtverteidigung. Er schuf eine klare Trennung zwischen der Residenzstadt im Süden und der Oberstadt im Norden, wo sich der Tempel und der Königspalast befanden. Diese Trennung spiegelt sich auch in der biblischen Literatur wider, in der Begriffe wie „Ophel“ und „Millo“ erwähnt werden – Begriffe, die nun durch die neuen Entdeckungen in einem neuen Licht erscheinen.
Die Lösung eines archäologischen Rätsels
Die Entdeckung des Wassergrabens löst ein Rätsel, das Archäologen seit mehr als einem Jahrhundert beschäftigt. Zahlreiche Forscher und Archäologen haben in den letzten 150 Jahren versucht, den Verlauf der nördlichen Befestigung Jerusalems zu rekonstruieren. Erst durch die jüngsten Ausgrabungen auf dem Givati-Parkplatz in der Davidsstadt konnte der wahre Verlauf dieser monumentalen Struktur enthüllt werden.
Ein entscheidender Moment war die erneute Untersuchung der Ausgrabungsberichte der britischen Archäologin Kathleen Kenyon, die in den 1960er Jahren in der Davidsstadt arbeitete. Kenyon entdeckte damals im Osten des heutigen Givati-Parkplatzes einen Abschnitt des natürlichen Felsens, der nach Norden abfiel – ein Hinweis, der erst durch die jüngsten Ausgrabungen richtig interpretiert werden konnte. Durch die Verbindung der von Kenyon freigelegten Abschnitte mit den neuen Entdeckungen entstand ein tiefer und breiter Graben, der sich über mindestens 70 Meter von West nach Ost erstreckt.
Eine neue Perspektive auf das antike Jerusalem
Diese Entdeckung verändert das Verständnis der topographischen und strategischen Planung des antiken Jerusalems. Die Stadt, die auf einem schmalen und steilen Bergrücken erbaut wurde, war von Hügeln und Tälern umgeben, die den Zugang von einem Stadtteil zum anderen erschwerten. Das Erschweren, diese natürliche Barriere zu überwinden, führte zu großen Bauprojekten, wie der Errichtung des Wassergrabens, der die Stadt in zwei getrennte Einheiten teilte.
Die Entdeckung dieses Wassergrabens und seiner Funktion als nördliche Befestigungslinie der Unterstadt eröffnet eine neue Diskussion über die biblischen Texte und die historische Realität, die sie beschreiben. Begriffe wie „Ophel“ und „Millo“, die in der Bibel erwähnt werden, könnten nun im Lichte dieser Entdeckung neu interpretiert werden. Dies zeigt, wie eng archäologische Funde und historische Texte miteinander verwoben sind und wie neue Entdeckungen unser Verständnis über die Geschichte erweitern können.
Ein Meilenstein in der Erforschung Jerusalems
Die Ausgrabungen in der Davidsstadt sind ein Meilenstein in der Erforschung des antiken Jerusalems. Sie werfen ein neues Licht auf die biblische Literatur und zeigen die beeindruckende Ingenieurskunst der damaligen Zeit. Die Entdeckung des monumentalen Wassergrabens ist ein Beweis für die Stärke und den Einfluss der Herrscher Jerusalems und verdeutlicht, wie die Stadt in ihrer Blütezeit organisiert und verteidigt wurde.
Eli Escusido, Direktor der Israel Antiquities Authority, fasste die Bedeutung dieser Entdeckung treffend zusammen: „Die Ausgrabungen in der Davidsstadt verblüffen immer wieder; wieder einmal werden Entdeckungen zutage gefördert, die ein neues und lebendiges Licht auf die biblische Literatur werfen.“ In der Tat bietet diese Entdeckung nicht nur neue Einblicke in die Vergangenheit, sondern regt auch die Fantasie an, wie das antike Jerusalem wirklich ausgesehen haben mag.
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