Wenn ich heute an Jom Kippur denke, dann erinnere ich mich unweigerlich an das Jahr 1973. Am höchsten Feiertag des jüdischen Kalenders, überraschte damals ein Krieg das gesamte jüdische Volk. Der Jom-Kippur-Krieg, an dem arabische Staaten Israel angriffen, wurde zu einem der schmerzhaftesten Kapitel der modernen Geschichte Israels. Dieser Krieg, der an einem Tag begann, der eigentlich der inneren Einkehr und Umkehr gewidmet ist, hat tiefe Narben hinterlassen. Auch jetzt befindet sich Israel wieder in einem Zustand des Konflikts, und die Parallelen zu 1973 lassen sich kaum übersehen. Es ist eine bittere Ironie, dass Israel den höchsten Feiertag auch heute in Kriegszeiten begehen muss.
Jom Kippur, der „Tag der Versöhnung“, ist mehr als nur ein Fastentag. Es ist der Höhepunkt der zehn „Tage der Umkehr“, die mit Rosch Haschana beginnen. Jom Kippur ist ein Tag der Vergebung und der Sühne – nicht nur zwischen Gott und dem Einzelnen, sondern auch zwischen Menschen. Es ist eine Zeit der Reflexion und Umkehr, um das eigene Leben zu überdenken und danach neue Wege zu gehen. Jom Kippur erinnert uns daran, dass es immer einen Weg zur Umkehr gibt und dass Vergebung möglich ist.
Der Tag beginnt bereits am Abend mit Erew Jom Kippur, einer letzten Mahlzeit vor der Fastenzeit, bei der Familie und Freunde zusammenkommen. Mit dem Einbruch der Dunkelheit wird in den Synagogen das bewegende Kol Nidre-Gebet gesprochen. Dieser Moment markiert den offiziellen Beginn des Feiertages. Auch am nächsten Vormittag besucht man die Synagoge und begeht diesen Tag in der Gemeinschaft mit feierlichem Gebet und Gesang.
Während Jom Kippur wird nicht nur auf Essen und Trinken verzichtet, sondern auch auf andere Annehmlichkeiten wie das Duschen, das Tragen von Lederschuhen oder den Gebrauch von Parfüms. Diese Gebote sollen den Fokus von materiellen Dingen auf das wesentliche lenken. Die Weiße Kleidung, oft in Form eines Kittels, symbolisiert Reinheit und das Streben nach Erneuerung.
Mit dem feierlichen Neïlah-Gebet erreicht der Feiertag seinen Höhepunkt. An diesem Tag trägt Gott sein Urteil über die Menschen in das „Buch des Lebens“ ein, das nach diesem Gebet geschlossen und versiegelt wird. Die Neïlah entspricht dem Gebet, das vor dem Schließen der Tempeltore in Jerusalem gesprochen wurde, zum Tagesabschluss. Nach dem Erklingen des Schofar am Ende von Jom Kippur gehen die Betenden nach Hause, um das Fasten im Kreis der Familie zu brechen.
Während wir dieses Jahr wieder Jom Kippur begehen, ist Israel erneut im Krieg. Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit und extremen Spannungen. Das Volk ist gespalten und steht sowohl innen- als auch außenpolitisch vor großen Herausforderungen. Jom Kippur erinnert uns daran, dass ein Neuanfang machbar ist. Möge dieser kommende Jom Kippur ein Feiertag sein, der uns trotz der scheinbar aussichtslosen Lage dem Frieden ein Stück näher bringt.
G’mar Chatima Tova – Mögest du in das Buch des Lebens eingeschrieben und versiegelt sein.
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