Kindeswohlgefährdung: Eine unsichtbare Gefahr – und unser aller Verantwortung

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Vor ein paar Tagen habe ich in einem Artikel auf Schimons Welt über den besorgniserregenden Anstieg von Kindesmissbrauch in Nordisrael berichtet. Die unsichtbaren Opfer dieses Konflikts sind oft Kinder, die aufgrund von Vertreibung und instabilen Verhältnissen in ihren Familien besonders gefährdet sind. Leider ist diese Realität kein Problem, das auf bestimmte Regionen beschränkt ist. Auch hier in Deutschland sind viele Kinder von Gefährdungen ihres Wohls betroffen, und die Dunkelziffer ist erschreckend hoch.

Während meiner Tätigkeit in der sozialen Arbeit bei einem Bildungsträger habe ich selbst eine Weiterbildung zum Thema Kindeswohlgefährdung gemacht. Dieses Thema hat mich tief bewegt, denn es zeigte mir, wie verletzlich Kinder sind und wie wenig oft getan wird, um sie zu schützen. Ich bin überzeugt, dass wir auch in Deutschland ein großes Problem haben, dem nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es ist an der Zeit, genauer hinzusehen und zu verstehen, was Kindeswohlgefährdung ist, wie wir sie erkennen können und welche Verantwortung wir als Gesellschaft tragen.

Was ist Kindeswohlgefährdung?

Kindeswohlgefährdung bezeichnet jede Form von Handlungen oder Unterlassungen, die das physische, emotionale oder psychische Wohl eines Kindes gefährden. Das Kindeswohl ist ein zentraler Begriff in den gesetzlichen Regelungen des deutschen Kinder- und Jugendhilferechts und bezieht sich auf das grundlegende Recht jedes Kindes auf eine sichere, gesunde und förderliche Entwicklung.

Die häufigsten Formen der Kindeswohlgefährdung sind:

  • Körperliche Misshandlung: Dies umfasst alle Formen von körperlicher Gewalt, wie Schlagen, Treten, Verbrennen oder andere Verletzungen, die dem Kind absichtlich zugefügt werden.
  • Emotionale Misshandlung: Hierbei handelt es sich um Verhaltensweisen, die das Selbstwertgefühl und die emotionale Sicherheit eines Kindes zerstören. Dazu gehören fortwährende Demütigungen, Beschimpfungen, Vernachlässigung emotionaler Bedürfnisse und der Entzug von Liebe und Zuwendung.
  • Sexueller Missbrauch: Kinder werden Opfer von sexuellen Handlungen oder sexueller Ausbeutung. Diese Form der Kindeswohlgefährdung ist besonders schwerwiegend und kann lebenslange Traumata verursachen.
  • Vernachlässigung: Vernachlässigung liegt vor, wenn ein Kind dauerhaft nicht die notwendige Fürsorge, Pflege oder Aufsicht erhält. Dies kann sowohl physisch als auch emotional sein und reicht von unzureichender Ernährung über mangelnde Hygiene bis hin zur fehlenden emotionalen Zuwendung.
  • Wirtschaftliche Ausbeutung: Auch Kinderarbeit oder andere Formen der wirtschaftlichen Ausbeutung können eine Gefährdung des Kindeswohls darstellen, insbesondere wenn sie die Entwicklung oder Bildung des Kindes beeinträchtigen.

Kindeswohlgefährdung in Deutschland: Ein unterschätztes Problem

In Deutschland wird die Thematik oft übersehen, und viele Fälle bleiben im Verborgenen. Das Problem ist, dass Kindeswohlgefährdung nicht immer sofort sichtbar ist, besonders wenn es um emotionale Vernachlässigung oder Missbrauch geht. Nach offiziellen Statistiken des Bundesfamilienministeriums wurden im Jahr 2021 mehr als 60.000 Fälle von Kindeswohlgefährdung festgestellt. Experten vermuten jedoch, dass die Dunkelziffer weit höher liegt.

Es gibt viele Gründe, warum Kindeswohlgefährdung oft nicht erkannt wird: soziale Isolation der Familien, fehlendes Bewusstsein in der Bevölkerung, aber auch Angst, sich in familiäre Angelegenheiten einzumischen. Hier liegt eine der größten Herausforderungen: Kindeswohlgefährdung findet oft hinter verschlossenen Türen statt, und die betroffenen Kinder haben oft nicht die Möglichkeit, sich selbst zu helfen.

Während meiner Zeit in der sozialen Arbeit wurde mir immer wieder bewusst, dass wir als Gesellschaft mehr tun müssen, um Kinder zu schützen. Es reicht nicht, auf das Jugendamt zu warten oder zu hoffen, dass Schulen und Kitas solche Missstände aufdecken. Jeder von uns trägt eine Verantwortung.

Wie können wir Kindeswohlgefährdung erkennen?

Das Erkennen von Kindeswohlgefährdung ist nicht immer einfach, da die Anzeichen oft subtil sind oder das Kind selbst nicht in der Lage ist, darüber zu sprechen. Es gibt jedoch bestimmte Warnsignale, auf die man achten sollte:

  • Körperliche Anzeichen: Häufige Verletzungen, Prellungen oder Verbrennungen, die nicht erklärt werden können oder immer wieder vorkommen.
  • Verhaltensänderungen: Plötzlicher Rückzug, Angst vor bestimmten Personen, Schlafstörungen, Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressivität oder extreme Anpassung.
  • Vernachlässigung: Schlechte körperliche Hygiene, unzureichende Kleidung, fehlende ärztliche Versorgung oder mangelnde Aufsicht.
  • Schulprobleme: Häufiges Fehlen in der Schule, starke Verschlechterung der Leistungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder sozialer Rückzug.
  • Angst vor bestimmten Personen: Wenn ein Kind auffällige Angst zeigt, mit bestimmten Erwachsenen alleine zu sein, kann dies ein Indikator für Missbrauch oder Gewalt sein.

Eltern oder Betreuer, die mit Kindern arbeiten, sollten besonders sensibel für diese Anzeichen sein. Schulen, Kitas und soziale Einrichtungen sind oft die ersten Orte, an denen solche Probleme erkannt werden können. Dennoch liegt es an uns allen, hinzusehen und zu handeln, wenn wir den Verdacht haben, dass ein Kind in Gefahr ist.

Der gesetzliche Schutz von Kindern in Deutschland

In Deutschland ist der Schutz des Kindeswohls durch das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) geregelt. Dieses Gesetz legt fest, dass das Jugendamt einschreiten muss, wenn das Wohl eines Kindes gefährdet ist. Das Jugendamt hat die Aufgabe, zu prüfen, ob eine Gefährdung vorliegt, und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, um das Kind zu schützen. Dies kann von Beratung und Unterstützung der Eltern bis hin zur Inobhutnahme des Kindes reichen, wenn akute Gefahr besteht.

Das deutsche Rechtssystem sieht die Eltern als primäre Verantwortliche für das Wohl ihrer Kinder, aber wenn Eltern dieser Verantwortung nicht nachkommen, hat der Staat die Pflicht, einzugreifen. Diese Balance zwischen dem Recht der Eltern und dem Schutz des Kindes ist oft schwierig, aber notwendig.

Warum mich das Thema so bewegt

Während meiner Arbeit in der sozialen Arbeit hatte ich viele Berührungspunkte mit Familien, die in schwierigen Verhältnissen lebten. Ich habe dabei gesehen, wie leicht Kinder in solchen Situationen übersehen oder vernachlässigt werden können. Während meiner Weiterbildung zum Thema Kindeswohlgefährdung wurde mir klar, wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft dieses Problem ernst nehmen.

Kindeswohlgefährdung ist kein Problem, das sich nur in anderen Ländern abspielt. Auch in Deutschland sind viele Kinder von Misshandlung, Vernachlässigung oder Missbrauch betroffen. Es ist unsere Aufgabe, hinzusehen und zu helfen. Besonders in Krisenzeiten, wie wir es kürzlich in Nordisrael gesehen haben, verschärfen sich oft die Gefahren für Kinder. Doch auch ohne solche äußeren Einflüsse bleibt Kindeswohlgefährdung eine ständige Bedrohung, die wir nicht ignorieren dürfen.

Jeder von uns trägt Verantwortung

Kindeswohlgefährdung ist ein Problem, das uns alle betrifft. Es liegt an uns, die Augen offen zu halten und hinzusehen, wenn wir den Verdacht haben, dass ein Kind in Gefahr ist. In meinem Artikel über den Anstieg von Kindesmissbrauch in Nordisrael habe ich bereits darauf hingewiesen, wie besonders verletzlich Kinder in Krisengebieten sind. Doch auch hier in Deutschland müssen wir uns der Tatsache stellen, dass viele Kinder nicht in der sicheren Umgebung aufwachsen, die sie verdienen.

Als Gesellschaft haben wir die Verantwortung, Kinder zu schützen, ihnen zuzuhören und ihnen zu helfen. Denn das Wohl eines Kindes ist ein hohes Gut – und wir dürfen nicht zulassen, dass es in den Hintergrund gerät.

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Peter Winkler http://schimonswelt.com

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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