Es mag für viele Menschen übertrieben erscheinen, sich Gedanken darüber zu machen, welche Geschichte hinter einem Glas Senf oder einem Glas Gurken steckt. Ich jedenfalls kann keinen "Kühne-Senf" mehr essen. Bild: Archiv

Es gibt diese kleinen Alltagsfreuden: Eine knackige Grillwurst, ein lecker belegtes Sandwich oder ein gut gewürzter Salat. Viele greifen dabei zu den Produkten der Marke Kühne, sei es der berühmte Senf, die Gurken oder das Sauerkraut. Doch hinter dieser ikonischen Marke verbirgt sich eine Geschichte, die weitaus dunkler ist, als man es sich im Alltag vorstellen mag. Als ich mich mit den Verstrickungen des Unternehmens Kühne + Nagel im Nationalsozialismus auseinandergesetzt habe, wurde mir klar: Ich kann diese Produkte nicht mehr ohne schlechtes Gewissen genießen.

Kühne + Nagel und die dunkle Vergangenheit

Was viele nicht wissen: Kühne + Nagel, das weltweit agierende Logistikunternehmen, dessen Marke Kühne im Alltag omnipräsent ist, spielte während des Nationalsozialismus eine verheerende Rolle. Das Unternehmen war weit mehr als ein bloßer Akteur, der versuchte, unter den Zwängen der Zeit zu überleben. Es war aktiv in die Raubzüge des Nazi-Regimes involviert und profitierte massiv von der Arisierung jüdischen Eigentums.

Kühne + Nagel war einer der zentralen Akteure in der sogenannten „M-Aktion“, einer Operation des NS-Staates, bei der die Habseligkeiten deportierter Juden aus den besetzten Gebieten geraubt und nach Deutschland transportiert wurden. Das Unternehmen transportierte Möbel und andere Wertgegenstände aus den Wohnungen von rund 65.000 deportierten und ermordeten jüdischen Familien – in einer Größenordnung von mehr als einer Million Kubikmetern. Diese geraubten Güter, die im Volksmund als „Hollandmöbel“ bezeichnet wurden, füllten nicht nur die Kassen von Kühne + Nagel, sondern halfen auch dabei, das Unternehmen international zu positionieren und seine Expansion voranzutreiben.

Die zentrale Rolle von Kühne + Nagel in der systematischen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung in Westeuropa und Teilen Italiens wirft die Frage auf, wie moralisch vertretbar es ist, heute Produkte dieser Marke zu konsumieren. Das Unternehmen arbeitete damals eng mit dem NS-Regime zusammen und wurde dafür sogar als „NS-Musterbetrieb“ ausgezeichnet. In meinen Augen ist das nicht einfach ein dunkles Kapitel der Firmengeschichte, das längst der Vergangenheit angehört – es ist ein moralisches Erbe, das bis heute nachwirkt.

Das Schicksal von Adolf Maass

Ein besonders tragisches Kapitel in der Geschichte von Kühne + Nagel ist das Schicksal von Adolf Maass. Der jüdische Teilhaber und Manager von Kühne + Nagel in Hamburg wurde nach Hitlers Machtergreifung 1933 von den damaligen Firmeninhabern Alfred und Werner Kühne aus dem Unternehmen gedrängt. Maass war damals der größte Teilhaber des Unternehmens, doch das zählte nichts. Er wurde nicht nur um seine Anteile betrogen, sondern schließlich auch in Auschwitz ermordet.

Dieses Schicksal steht exemplarisch für die unmenschlichen Praktiken der Zeit und zeigt, wie skrupellos Unternehmen wie Kühne + Nagel von der Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Bürger profitierten. Dass die heutigen Unternehmensverantwortlichen, insbesondere Klaus-Michael Kühne, bis heute eine umfassende Aufarbeitung dieser Vergangenheit verweigern, zeigt, dass diese Geschichte noch lange nicht abgeschlossen ist.

Kühne + Nagels Haltung zur eigenen Vergangenheit

Obwohl mittlerweile einiges über die Verstrickungen des Unternehmens in die nationalsozialistische Raubwirtschaft bekannt ist, hat Kühne + Nagel bis heute keine unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung eingesetzt. Anfragen auf Einsicht in die Firmenarchive wurden mit der Begründung abgelehnt, dass durch Bombenangriffe während des Krieges viele Dokumente zerstört wurden. Diese Zurückhaltung wirft Fragen auf: Warum scheut sich das Unternehmen vor einer umfassenden Aufarbeitung? Ist es die Angst vor weiteren Enthüllungen oder der Wunsch, das Image der Marke zu schützen?

Diese Haltung zeigt sich auch in der Art und Weise, wie das Unternehmen in der Öffentlichkeit über seine Vergangenheit spricht. Kühne + Nagel hat zwar eine allgemeine Entschuldigung für seine Verstrickungen in die NS-Wirtschaft abgegeben, doch diese bleibt oberflächlich. Es wird lediglich erklärt, dass das Unternehmen gezwungen war, unter den Zwängen der Zeit zu handeln, und dass es sich dabei in „dunklen und schwierigen Zeiten“ behaupten musste. Das klingt für mich nicht nach einer echten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

Es fehlt an einer klaren und selbstkritischen Haltung gegenüber der Vergangenheit. Solange diese Aufarbeitung nicht stattfindet, bleibt der dunkle Schatten über der Marke Kühne bestehen. Und genau das macht es für mich unmöglich, ihre Produkte noch ohne schlechtes Gewissen zu genießen.

Der moralische Kompass beim Einkaufen

Wenn wir einkaufen, denken wir selten darüber nach, was hinter den Marken steckt, die wir in unseren Einkaufswagen legen. Doch in einer Zeit, in der wir immer mehr über Nachhaltigkeit und ethisches Konsumverhalten nachdenken, sollten wir uns auch der Geschichte der Unternehmen bewusst sein, deren Produkte wir konsumieren.

Für mich ist die Geschichte von Kühne + Nagel ein Paradebeispiel dafür, wie eng Wirtschaft und Moral miteinander verknüpft sind. Es reicht nicht aus, dass ein Unternehmen sich nur auf seine Gewinne und seine Expansion konzentriert. Es muss sich auch seiner Verantwortung stellen und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Dass Kühne + Nagel dies bis heute nur halbherzig tut, lässt mich mit einem schlechten Gefühl zurück, wenn ich an ihre Produkte denke.

Mein persönliche Schlussfolgerung und Entscheidung

Es mag für viele Menschen übertrieben erscheinen, sich Gedanken darüber zu machen, welche Geschichte hinter einem Glas Senf oder einem Glas Gurken steckt. Doch für mich hat die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von Kühne + Nagel klar gemacht, dass ich diese Produkte nicht mehr genießen kann, ohne an die schrecklichen Verstrickungen des Unternehmens im Nationalsozialismus zu denken.

Der Mangel an Aufarbeitung und die ablehnende Haltung der heutigen Unternehmensführung zeigen mir, dass es hier nicht nur um Geschichte geht, sondern um Verantwortung und Moral. Solange diese Verantwortung nicht vollständig übernommen wird, werde ich keine Produkte von Kühne mehr konsumieren können – zumindest nicht ohne schlechtes Gewissen.

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Von Peter Winkler

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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