Der Oberste Gerichtshof Israels hat 2021 Reformkonversionen anerkannt. Nun, nach dem Hamas-Angriff, suchen viele Israelis ihren Weg im Reformjudentum. Ein historischer Wandel im jüdischen Staat?
In Israel vollzieht sich ein bedeutender Wandel im Umgang mit dem Reformjudentum. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2021, das Reform-Konversionen offiziell anerkennt, hat eine neue Dynamik in das Thema gebracht. Diese Dynamik hat sich nach dem verheerenden Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 noch verstärkt. Immer mehr Israelis entscheiden sich für den Konversionsweg über die Reformbewegung. Die Tragödie hat ein verstärktes Bedürfnis nach jüdischer Identität geweckt, das viele über den Reformweg zu stärken versuchen.
Was ist das Reformjudentum?
Das Reformjudentum entstand im 19. Jahrhundert in Deutschland als Reaktion auf die zunehmende Säkularisierung und Emanzipation der Juden. Es strebt danach, traditionelle jüdische Werte und Glaubenspraktiken in einer Weise zu leben, die den Ansprüchen und Herausforderungen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Reformgemeinden legen den Schwerpunkt auf ethische Prinzipien, Gleichheit und individuelle Freiheit. Im Gegensatz zum orthodoxen Judentum werden im Reformjudentum z.B. Frauen als Rabbinerinnen ordiniert und Gebete auch in der Landessprache abgehalten.
Ein langer Weg zur Anerkennung in Israel
In Israel, wo das orthodoxe Judentum als staatlich bevorzugte Religionsform gilt, hatte es die Reformbewegung von Anfang an schwer. Die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 war geprägt von einer engen Verzahnung von Staat und orthodoxem Judentum. Das Oberrabbinat, eine orthodoxe Institution, erhielt die Kontrolle über Fragen wie Eheschließung, Scheidung und religiöse Konversionen. Reformjuden standen oft am Rand des religiösen Lebens: Ihre Konversionen wurden nicht anerkannt und sie hatten wenig Zugang zu staatlichen Ressourcen.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs: Ein Wendepunkt
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 2021, Reformkonversionen für die Staatsbürgerschaft anzuerkennen, stellt einen fundamentalen Meilenstein für die Rechte der Reformgemeinde in Israel dar. Dieser Schritt, der nach jahrzehntelangem Rechtsstreit errungen wurde, bedeutet, dass eine Konversion zum Judentum, die in einer Reformgemeinde in Israel durchgeführt wird, den Weg zur Staatsbürgerschaft eröffnet. Dies ist bedeutsam, da viele jüdische Einwanderer und auch israelische Bürger, die ihre jüdische Identität vertiefen wollen, nun eine weitere Möglichkeit haben, dies ohne orthodoxe Rahmenbedingungen zu tun.
Widerstand aus orthodoxen Kreisen
Das Urteil ist jedoch ein Zankapfel. Orthodoxe Institutionen und ein Großteil des religiösen Establishments lehnen die Reformbewegung nach wie vor ab und betrachten deren Interpretationen als unzulässige Abweichung vom „richtigen“ Judentum. Sie fürchten, dass die Anerkennung der Reformbewegung die Grundlage des jüdischen Staats verwässert.
Zulauf nach dem Hamas-Angriff
Das jüngste Massaker der Hamas hat in Israel tiefe Wunden hinterlassen und bei vielen Menschen eine verstärkte Suche nach einer jüdischen Identität ausgelöst. Der Wunsch, durch eine Konversion die Bindung zum Judentum zu stärken, hat sich verstärkt. Besonders das Reformjudentum, das den Zugang zum jüdischen Glauben mit weniger strikten Bedingungen bietet, hat Zulauf erfahren. Zahlreiche Israelis wählen nun die Konversion durch die Reformbewegung, um ihrem Leben eine zusätzliche Dimension der Zugehörigkeit und Identifikation zu geben.
Gesellschaftlicher Wandel und religiöse Vielfalt
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs und der jüngste Zulauf zur Reformbewegung stellen mehr dar als eine bloße juristische Frage. Sie sind Ausdruck einer tiefen gesellschaftlichen Veränderung in Israel. Viele Israelis wünschen sich ein Judentum, das persönlicher, zugänglicher und weniger reglementiert ist. Die Möglichkeit, Reformkonversionen in Israel durchzuführen und die jüdische Identität auf individuelle Weise zu gestalten, könnte langfristig eine neue kulturelle Dynamik schaffen und dazu beitragen, das jüdische Leben in Israel vielfältiger zu machen.
Ein Meilenstein und eine Chance
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2021 hat die Tür zu einem neuen, offeneren Verständnis des Judentums in Israel geöffnet. Die zunehmende Zahl an Reformkonversionen ist ein Zeichen dafür, dass viele Menschen die Möglichkeit schätzen, ihre jüdische Identität auf eigene Weise zu erleben und zu leben. Gerade in Zeiten großer Herausforderungen, wie sie durch die Hamas-Angriffe ausgelöst wurden, wird das Judentum für viele Israelis zu einer Quelle der Kraft und der Verbundenheit.
Ob das Reformjudentum langfristig eine gleichberechtigte Stellung in Israel erreichen wird, bleibt abzuwarten. Doch schon jetzt markiert die Entwicklung einen bedeutenden Meilenstein, der die Diskussion um religiöse Vielfalt und persönliche Freiheit in Israel nachhaltig prägen könnte. Das Streben nach einer jüdischen Identität, die modernen Lebensrealitäten gerecht wird, findet in der Reformbewegung eine Plattform, die vielen Israelis eine neue Perspektive auf ihren Glauben und ihre Gemeinschaft ermöglicht.
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