
Warum Veränderung Angst macht und trotzdem gut sein kann
Veränderung klingt nach Aufbruch, nach Entwicklung, nach etwas Besserem. Und doch löst sie oft genau das Gegenteil aus: Unsicherheit, inneres Zögern, vielleicht sogar Angst. Das liegt nicht daran, dass etwas falsch läuft, sondern daran, dass das Gehirn auf Gewohnheit programmiert ist. Alles, was bekannt ist, gibt Sicherheit. Alles, was neu ist, bringt Unruhe. Die Schutzmechanismen, die seit Jahrtausenden in uns arbeiten, wollen Gefahren vermeiden. Und Neuem begegnet der Mensch eben oft erst einmal mit Vorsicht.
Diese Vorsicht ist nicht immer logisch, aber sie ist zutiefst menschlich. Selbst Menschen, die sich als offen und neugierig erleben, spüren diese innere Reaktion. Es ist kein Fehler, sondern ein Reflex. Und manchmal überrascht dieser Reflex sogar einen selbst. So ging es mir vor einiger Zeit, als der behandelnde Arzt einen starken Akzent hatte. Der erste Gedanke war Misstrauen. Nicht wegen eines Verhaltens, nicht wegen schlechter Behandlung – sondern nur wegen der Sprache. Erst später, als ich über meine Reaktion nachdachte, kam die Erkenntnis: Der Mann war hervorragend. Freundlich, kompetent, sehr professionell. Und trotzdem hatte sich bei mir dieses seltsame Gefühl eingeschlichen, völlig unbegründet.
Was die Wissenschaft dazu sagt
Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten „Uncertainty Avoidance“, also der Tendenz des Menschen, Unsicherheit zu vermeiden. Dieses Bedürfnis ist in unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägt, aber grundsätzlich in jedem Menschen verankert. Neurowissenschaftlich betrachtet aktiviert jede ungewohnte Situation das sogenannte Angstzentrum im Gehirn – die Amygdala. Sie springt an, sobald etwas passiert, das nicht in das gewohnte Bild passt. Und sie sendet Signale, die oft stärker sind als rationale Überlegungen.
Gerade im gesellschaftlichen Kontext zeigt sich das sehr deutlich. Studien wie die „Autoritarismus-Studie“ der Universität Leipzig oder das „Mitte-Studienprojekt“ der Friedrich-Ebert-Stiftung belegen: Ablehnung gegenüber Fremden entsteht häufig nicht aus direkter Erfahrung, sondern aus dem Gefühl heraus, die Kontrolle über das eigene Lebensumfeld zu verlieren. Es ist die Veränderung im Außen, die Angst macht – nicht der Mensch selbst. Wenn sich das Vertraute zu schnell wandelt, entsteht das Gefühl von Überforderung. Und dieses Gefühl sucht sich ein Ziel.
Mut fängt bei der Ehrlichkeit an
Angst vor Veränderung ist keine Schwäche. Sie ist ein Signal. Aber dieses Signal muss nicht die Richtung vorgeben. Wer sich selbst ehrlich begegnet, erkennt schnell, dass vieles, was sich fremd anfühlt, in Wahrheit nur ungewohnt ist. Und dass man nicht alles kontrollieren muss, um sich sicher zu fühlen. Veränderung wird nicht einfacher, nur weil sie verstanden wird. Aber sie wird ehrlicher. Wenn es gelingt, das Unbehagen auszuhalten, ohne es gleich zu bekämpfen, entsteht Raum. Raum für neues Denken, für andere Perspektiven, für innere Weite.
Vielleicht ist genau das der Anfang echter Veränderung. Nicht als Sprung, sondern als Schritt. Ein kleiner, bewusster Schritt aus der Komfortzone. Morgen geht es im zweiten Teil weiter mit der Frage, warum Kontrolle oft nur eine Illusion ist – und was das mit echter Freiheit zu tun hat. Wer loslässt, gewinnt oft mehr, als er verliert.
Den passenden Podcast zur heutigen Folge findest Du auf YouTube und Spotify unter Schimons Podcast.

