Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neugier begann Schimon, die ersten Dokumente aus dem Koffer herauszunehmen. Sein Blick fiel auf ein altes Couvert, das leicht vergilbt war. Vorsichtig zog er ein Schriftstück heraus. Die Buchstaben, sorgsam mit einer Schreibmaschine getippt, wirkten wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Er legte das Dokument behutsam auf den Schreibtisch – ein Lebenslauf, fein säuberlich aufgesetzt. Daran befestigt mit einer Büroklammer ein Brief an das Landratsamt. Schimon überflog die Zeilen. Es war ein Antrag auf Wiedergutmachung, in dem sein Großvater schrieb, wie er durch die Nationalsozialisten alles verloren hatte.
„Ich wurde verfolgt, meiner Firma beraubt und meines Hauses enthoben“, las Schimon leise vor. Die Worte hallten in ihm nach, wie ein Echo, das keine Ruhe fand. Sein Herz schlug schneller. Dieses unscheinbare Stück Papier war ein direkter Zeuge einer schmerzhaften Vergangenheit. Er wusste, dass seine Großeltern nach dem Krieg in Schwabbach mit nichts begonnen und sich mühsam eine neue Existenz aufgebaut hatten. Eine Wiedergutmachungszahlung hätte der Familie sicher geholfen, diesen Neuanfang schneller zu bewältigen.
Unter den weiteren Unterlagen entdeckte er einen alten Werbeflyer. „Waldix Pflanzensäfte“ stand darauf in geschwungener Schrift. Die Farben waren verblasst, aber die Eleganz des Designs deutete darauf hin, wie stolz Oswald einst auf sein Unternehmen gewesen sein musste. Schimon erinnerte sich, dass er vor längerer Zeit auf seinem Blog einen Artikel über den Waldix-Vertrieb geschrieben hatte. Sogar ein YouTube-Video mit einer Erklärung seines Vaters Günter hatte er damals veröffentlicht. Dieses Kapitel der Familiengeschichte schien ihm plötzlich viel näher als je zuvor.
Dann fiel sein Blick auf ein Schreiben von Hans Schonat. Darin bestätigte Schonat, dass Oswald gezielt unter Druck gesetzt worden war: Er hatte sich geweigert, seine Kinder in die Hitlerjugend zu schicken oder eine Hakenkreuzfahne an seinem Haus zu hissen. Diese Entscheidungen hatten ihn alles gekostet – seine Firma, seine Villa in Bad Blankenburg, seine Sicherheit. Schimon hielt das Dokument eine Weile in den Händen, unfähig, sich zu bewegen. Es war, als spürte er den Mut und die Verzweiflung, die in jeder Zeile lagen.
Die Emotionen übermannten ihn für einen Augenblick. Seine Hände zitterten leicht, als er das Papier behutsam auf den Schreibtisch legte. Der Koffer hatte seine Geheimnisse noch nicht vollständig preisgegeben, doch was er bereits offenbart hatte, war von unermesslichem Wert. Schimon setzte sich schwer auf seinen Stuhl. Er musste innehalten, die Fülle an Eindrücken verarbeiten.
Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen begann er, die Dokumente systematisch aus dem Koffer zu nehmen und sie auf dem Schreibtisch zu ordnen. Jedes Schriftstück, jedes Couvert, jede Mappe erzählte eine Geschichte. Der Koffer, der jahrelang unbeachtet in der Garage gestanden hatte, erwies sich als Schatztruhe voller Leben, Leid und Erinnerung. Schimon blickte auf die wachsende Sammlung vor ihm. Ihm war bewusst, dass dies erst der Anfang war. Er spürte, dass die Geschichte, die sich vor ihm entfaltete, ihn für immer verändern würde.
Ganz unten im Koffer, beinahe verborgen zwischen den anderen Dokumenten, stieß Schimon auf ein kleines Kästchen. Es war aus hellem, poliertem Holz gefertigt, nur so groß wie seine Handfläche, und strahlte eine merkwürdige Aura aus. Auf der Oberseite befanden sich vier Reihen mit jeweils sechs kleinen Tasten, die nummeriert waren. An der Vorderseite war ein metallener Ring eingelassen, der matt im Licht seines Schreibtischs schimmerte.
Schimon runzelte die Stirn. Er nahm das Kästchen vorsichtig in die Hand, drehte es von allen Seiten, suchte nach einem Herstellerhinweis oder einer Markierung – doch es gab nichts dergleichen. Als er die Oberfläche des Holzes mit den Fingerspitzen abtastete, fiel ihm auf, wie glatt und natürlich es sich anfühlte. Es wirkte nicht, als sei es maschinell hergestellt worden. „Was ist das?“, murmelte er vor sich hin.
Behutsam stellte er das Kästchen auf den Schreibtisch und begann, es eingehend zu betrachten. Von allen Seiten drehte er es, suchte nach Hinweisen. Es erinnerte ihn weder an eine Schreibmaschine noch an einen Taschenrechner – Es wirkte auf ihn, als wäre es von Hand gefertigt worden. Ein so seltsames Artefakt hatte er noch nie gesehen.
Neugierig griff er zu seinem Handy und machte ein Foto, um das Kästchen mit Google Lens zu scannen. Doch das Internet lieferte ihm keine Antworten – kein Vergleichsobjekt, kein Hinweis auf Ursprung oder Funktion. Schimon versuchte, die Tasten zu drücken, doch sie ließen sich nicht bewegen. Der Ring auf der Vorderseite? Ebenfalls fest und unbeweglich. Frustration mischte sich mit Neugier.
„Was hatte dieses Ding für Oswald bedeutet? Wie kam es in seinen Besitz?“ fragte er sich immer wieder. Das Holz war hart, die Verarbeitung makellos, aber es gab keine sichtbaren Mechanismen, um es zu öffnen oder auseinanderzunehmen. Es wirkte wie ein Automat, jedoch ohne erkennbare Funktion. Die Ungewissheit nagte an ihm. Fortsetzung folgt…
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[…] Er wusste, dies war der Anfang einer Reise. Eine Reise in die Vergangenheit, die nicht nur die Geschichte seiner Familie erhellen würde, sondern auch seine eigene Identität. Fortsetzung folgt… […]