Stark durchs Leben

Wenn mir der Name nicht mehr einfällt – wie Stress unser Denken vernebelt

Neulich ist mir etwas passiert, das mich wirklich ins Grübeln gebracht hat. Ich war in Öhringen unterwegs, eigentlich nur schnell Besorgungen machen. Ich war in Gedanken, hatte noch eine To-do-Liste im Kopf, war spät dran und der Parkautomat hatte natürlich auch wieder nur Kleingeld genommen. Also: ich war gestresst. So richtig. Mein Kopf war voll – und leer zugleich. Und dann, mitten am Marktplatz, kommt mir ein Mann entgegen. Er schaut mich an, bleibt stehen, lächelt und sagt: „Peter? Bist du das? Wie lange ist das her!“

Ich erkenne ihn sofort. Ich weiß, dass wir zusammen gearbeitet haben. Mehrere Jahre sogar. Ich sehe sein Gesicht, seine Art sich zu bewegen, höre seine Stimme – und habe keinen blassen Schimmer, wie er heißt. Keine Ahnung. Gar nichts. Ich hab dann irgendwie drumherum geredet, versucht Zeit zu schinden. Irgendwann fiel der Name dann, von ihm selbst. Und da war er mir natürlich wieder präsent. Aber dieser Moment hat mich erschüttert. Es war nicht das erste Mal. Und es hat mir Angst gemacht. Weil ich gemerkt habe: In Stresssituationen funktioniert mein Kopf manchmal nicht mehr so, wie ich es erwarte.

Ich bin dem mal nachgegangen. Denn eigentlich ist es gar nicht so selten, was ich da erlebt habe. Stress beeinflusst unser Gehirn auf ziemlich konkrete Weise. Besonders dann, wenn er akut auftritt. Die Forschung – zum Beispiel an der Universität Konstanz – zeigt: Wenn wir gestresst sind, fällt es uns deutlich schwerer, auf bereits gespeicherte Informationen zuzugreifen. Also genau das, was mir da passiert ist. Man weiß auch, warum: Im Zentrum steht der Hippocampus – ein Teil des Gehirns, der für das Erinnern zuständig ist. Wenn wir unter Druck stehen, fährt der runter. Eine Art Not-Aus, könnte man sagen. Gleichzeitig übernimmt das Stresssystem die Kontrolle – unser Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt. Fight or Flight. Kämpfen oder wegrennen.

Wenn Stress das Gedächtnis lahmlegt: Warum uns Namen nicht mehr einfallen

Das Video wird von YouTube eingebettet und erst beim Klick auf den Play-Button geladen. Es gelten die Datenschutzbestimmungen von Google.

Das macht evolutionär auch Sinn. In der Steinzeit mussten wir blitzschnell reagieren, wenn ein Säbelzahntiger vor uns stand – nicht lange überlegen, wie der hieß. Nur leider reagiert unser System heute noch immer so, obwohl der Säbelzahntiger längst durch andere Dinge ersetzt wurde: volle Postfächer, hupende Autos, unklare Rollenbilder, zu viele Aufgaben auf einmal, die Angst etwas zu verpassen. Unser Körper fährt ein riesiges Programm ab – Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol – aber wir können nicht kämpfen oder wegrennen. Stattdessen bleiben wir sitzen. Und unser Kopf macht dicht. Genau wie meiner in Öhringen.

Was ich besonders spannend finde: Stress hat zwei Gesichter. Es gibt den negativen Stress, den wir alle kennen – den, der uns lähmt, der schlaflose Nächte verursacht, der unseren Blutdruck hochtreibt. Aber es gibt auch den positiven Stress – Eustress wird er genannt. Das ist der Zustand, in dem wir gefordert sind, aber nicht überfordert. Wo wir merken: Ich wachse an dieser Aufgabe. Ich schaffe das. Das ist sogar gesund. Unser Körper schüttet dann zwar auch Stresshormone aus, aber sie helfen uns, fokussiert, kreativ und stark zu bleiben. Manche erleben das als Flow – als Zustand, in dem alles leicht fällt. Der Unterschied liegt in der Wahrnehmung. Ob wir eine Situation als Bedrohung empfinden oder als Herausforderung. Ob wir das Gefühl haben, Kontrolle zu haben.

Ich habe viel darüber gelesen in den letzten Tagen. Weil ich verstehen wollte, was da mit mir passiert ist. Und wie ich wieder klar denken kann, wenn der Stress kommt. Es gibt da einige Erkenntnisse, die mich beruhigt haben. Zum Beispiel, dass das Gehirn reversibel auf Stress reagiert. Der Hippocampus schrumpft nicht dauerhaft, wenn man nicht permanent unter Strom steht. Und auch, dass man das eigene Denken trainieren kann. Dass Stress nicht nur von außen kommt, sondern auch viel mit dem zu tun hat, was wir über uns selbst glauben. Erwartungen, Perfektionismus, alte Glaubenssätze. All das spielt mit rein.

Ich merke, mir hilft es, den Tag zu strukturieren. Klarheit im Außen bringt Ruhe im Innen. Ich brauche feste Zeiten. Rituale. Und Pausen. Ich weiß heute, dass mein Körper mir früh genug Zeichen gibt. Ich muss nur hinhören. Ich merke es an meiner Ungeduld. Daran, dass mir Dinge runterfallen. Oder eben, wenn mir Namen nicht mehr einfallen. Ich zwinge mich dann nicht weiter. Ich trete einen Schritt zurück. Oft gehe ich raus. Mit Wilma unserer Hündin in den Wald. Atmen. Still werden. Ich rufe Dany an. Oder ich höre auf zu reden und lasse einfach alles still werden. Keine Musik. Kein Podcast. Kein Gespräch. Einfach nur Ruhe. Und dann, irgendwann, kehrt die Klarheit zurück. Nicht immer sofort. Aber sie kommt.

Ich glaube, wir sollten lernen, Stress nicht als Feind zu sehen. Sondern als Signal. Als Impuls, wieder hinzuschauen. Was überfordert mich gerade? Was will ich eigentlich nicht mehr? Und was würde mir jetzt gut tun? Nicht morgen. Jetzt. Vielleicht ist genau das der Weg, wieder in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Und dann fällt einem auch wieder ein, wie der Kollege hieß.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert