Die Nacht war schon weit fortgeschritten, und das grelle Licht der Schreibtischlampe war das Einzige, was die Dunkelheit im kleinen Büro des Journalisten Daniel durchbrach. Er saß da, umgeben von verstreuten Notizen, halb geleerten Kaffeetassen und einem Computerbildschirm, der leer auf ihn zurück starrte. Die Deadline für seinen Artikel über den Nahostkonflikt rückte immer näher, und er spürte den Druck wie eine Faust in seinem Magen. Die Redaktion erwartete eine eindrucksvolle Geschichte, doch er hatte kaum Material.
Daniel seufzte und fuhr sich müde über das Gesicht. „Was soll’s“, murmelte er zu sich selbst und begann zu tippen. Er erfand einen Namen, eine vermeintliche Quelle, die angeblich vor Ort gewesen sei. Die Sätze flossen schneller, der Artikel nahm Form an. Es war nicht das erste Mal, dass er der Wahrheit ein wenig nachgeholfen hatte. Doch diesmal ging es um eine heikle Situation, und irgendwo tief in seinem Inneren nagte ein schlechtes Gewissen.
Plötzlich hörte er ein seltsames Geräusch, ein leises Surren, das immer lauter wurde. Er blickte auf, und seine Augen weiteten sich vor Staunen. Durch das geöffnete Fenster schwebte ein kleiner, bunter Teppich herein, und darauf saß – ja, tatsächlich – ein Mann in einem traditionellen Gewand, mit ernsten und zugleich sanften Gesichtszügen.
Der Unbekannte lächelte verschmitzt und antwortete: „Ich bin Aladin, ich komme aus einer anderen Zeit und war schon mal da und dort. Aber heute bin ich hier, um dir zu helfen.“
Aladin sprang vom Teppich herunter, stellte sich mitten in das Chaos aus Notizen und Kaffeetassen und sagte mit einer Stimme, die freundlich, aber bestimmt klang: „Ich bin von Haus aus sehr neugierig und möchte dich etwas fragen: Woher hast du die Informationen für deinen Artikel?“
Daniel war wie gelähmt. War das ein Traum? Er blinzelte, doch Aladin stand immer noch da, seine Augen auf ihn gerichtet, voller Neugier und Ernsthaftigkeit zugleich.
„Nun, äh, ich habe eine Quelle…“, begann Daniel zögernd, doch Aladin unterbrach ihn sofort. „Eine echte Quelle? Oder hast du dir das ausgedacht?“
Daniel spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er war ertappt. Aladin kam näher, seine Augen wurden weich, aber seine Stimme blieb fest. „Weißt du, was es bedeutet, die Wahrheit zu verdrehen? Vor allem in einer Situation wie dieser? Worte haben Macht. Und wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen, können sie großes Unheil anrichten.“
Daniel schluckte schwer. Er wusste, dass Aladin recht hatte. Er hatte es sich zu einfach gemacht, dem Druck nachgegeben. Doch bevor er etwas sagen konnte, griff Aladin seine Hand und zog ihn mit einem Ruck auf den fliegenden Teppich. „Komm, ich zeige dir etwas.“
Noch bevor Daniel protestieren konnte, erhob sich der Teppich mit einem sanften Schwung und sie flogen aus dem Fenster hinaus, hinein in die Nacht. Der Wind rauschte in seinen Ohren, die Stadtlichter verschwammen unter ihnen. Daniel klammerte sich an den Rand des Teppichs, sein Herz schlug bis zum Hals. Er wusste nicht, wohin sie flogen, doch Aladin hatte eine Ruhe an sich, die ihm Vertrauen gab.
Nach einer Weile landeten sie sanft in einer belebten Straße. Die Geräusche von Menschen, das Bellen von Hunden, der Geruch von Gewürzen – Daniel erkannte sofort, dass sie in Gaza waren. Aladin nickte ihm zu und bedeutete ihm, vom Teppich abzusteigen. „Hier findest du die Wahrheit, Daniel. Sprich mit den Menschen, schau ihnen in die Augen. Erfahre, was sie wirklich durchmachen.“
Daniel folgte Aladin durch die Straßen, sprach mit Familien, die in einfachen Unterkünften lebten, sah die Sorgen in den Gesichtern der Menschen, aber auch ihre Hoffnung. Die Geschichten, die er hörte, waren herzzerreißend, aber auch voller Menschlichkeit und Mut. Er merkte, wie seine Vorurteile und die einfachen Schlüsse, die er für seinen Artikel gezogen hatte, in sich zusammenfielen.
Als sie zurück in sein Büro kamen, war die Nacht schon vorbei. Daniel setzte sich an seinen Schreibtisch, löschte den alten Artikel und begann von vorne. Diesmal schrieb er die Wahrheit – die echten Menschen, die echten Geschichten. Und als er fertig war, wusste er, dass es das Beste war, was er je geschrieben hatte.
Aladin lächelte zufrieden und verabschiedete sich leise, bevor er auf seinem Teppich wieder in den Morgenhimmel verschwand. Als der Artikel später veröffentlicht wurde, erhielt Daniel nicht nur Lob von seiner Redaktion, sondern auch das Gefühl, wirklich etwas Wichtiges getan zu haben.
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