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Wenn Schweigen zur Mauer wird

Das Sprichwort sagt: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Ein Satz, den viele von uns seit der Kindheit kennen. Doch je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest: Diese Aussage ist zu einfach. Zu einseitig. Und manchmal sogar gefährlich. Denn Schweigen kann vieles sein – heilsam, klärend, wohltuend. Aber eben auch verletzend, trennend, und sogar manipulativ.

Ich habe das in meiner Ehe sehr deutlich erlebt. Gerade in den ersten Jahren, wenn wir gestritten haben – und ja, das passiert in jeder Beziehung – war es nie meine Art, laut zu werden oder emotional zu explodieren. Ich habe mich lieber zurückgezogen. Habe geschwiegen. Mich verweigert. Nicht, weil ich es böse meinte. Sondern weil ich einfach keinen Zugang zu meinen Gefühlen fand. Ich wollte nicht streiten. Ich wollte keine Eskalation. Also war ich ruhig. Ich dachte, ich sei damit sachlich und souverän. Aber das war ich nicht. Denn mein Schweigen war alles andere als neutral.

Für meine Frau war es wie eine Wand. Während sie reden wollte, sich ausdrücken, klären, verstehen – war ich still. Und das hat sie mehr verletzt, als jedes laute Wort es je getan hätte. Ich habe mit meinem Schweigen Druck aufgebaut. Nicht bewusst. Aber spürbar. Ich habe Nähe verweigert, obwohl sie nötig gewesen wäre. Und damit wurde mein Schweigen zu einer Art Waffe – obwohl ich eigentlich nur meine Ruhe wollte.

Die Macht des Schweigens

Schweigen ist nicht gleich Schweigen. Es gibt Zeiten, da brauchen wir Stille. Weil wir überfordert sind. Weil uns die Worte fehlen. Weil wir innerlich ordnen müssen, was gerade in uns tobt. In solchen Momenten ist Schweigen eine Form von Selbstfürsorge. Es ist eine Pause, kein Rückzug. Es ist Raum, um Gedanken zu sortieren. Wenn wir in solchen Situationen ehrlich sind und sagen: „Ich brauche Zeit. Ich will jetzt nichts Falsches sagen. Ich denke nach und komme auf dich zurück“, dann hat Schweigen eine heilsame Kraft. Dann ist es Gold wert.

Doch es gibt auch das Schweigen, das aus Angst entsteht. Aus Verletzung. Aus dem Gefühl, nicht gehört zu werden. Man zieht sich zurück, weil man das Gefühl hat, sowieso nichts sagen zu dürfen oder weil man glaubt, dass es ohnehin nichts ändern würde. Dieses Schweigen ist oft still, aber schwer. Es baut Mauern, ohne dass man es merkt. Und mit jeder unausgesprochenen Enttäuschung wird die Mauer höher. Man redet sich ein, es sei besser so – und merkt nicht, dass man sich innerlich immer weiter entfernt.

Noch schwerer wird es, wenn Schweigen bewusst eingesetzt wird. Als Druckmittel. Als Strafe. Als Machtinstrument. Wenn jemand aus einer Diskussion aussteigt und sagt: „Ich sage da jetzt gar nichts mehr dazu“, dann ist das kein Schutz mehr – sondern ein klares Signal: Ich entziehe mich. Ich verweigere. Ich stelle dich in den leeren Raum. Und du kannst nichts tun. Dieses Schweigen ist besonders schmerzhaft, weil es keine Antwort gibt. Keine Reaktion. Keine Chance, in Verbindung zu bleiben. Der andere bleibt mit seiner Verletzung allein zurück – und das Schweigen schreit lauter als jedes Wort.

Zwischen Nähe und Distanz

Aber es gibt auch das andere Schweigen. Das gute. Das nährende. Wenn zwei Menschen gemeinsam schweigen können, ohne dass es unangenehm ist. Wenn man nebeneinander sitzt, ohne reden zu müssen – weil man sich spürt. Weil man sich vertraut. Weil man einfach da ist. In solchen Momenten ist Schweigen ein Geschenk. Ein Raum, in dem Nähe entsteht, ohne dass man sie benennen muss.

Vielleicht liegt genau hier die Schwierigkeit: Schweigen ist nicht eindeutig. Es braucht ein Bewusstsein dafür, was es bedeutet – und wie es wirkt. Wer schweigt, meint es nicht immer böse. Und wer schweigen muss, ist nicht automatisch kalt. Aber in jeder Form von Schweigen steckt eine Botschaft. Und wenn man diese Botschaft nicht klar ausspricht, wird sie vom anderen interpretiert. Und genau da beginnt das Problem.

Denn wenn Schweigen nicht erklärt wird, füllen wir es mit unseren eigenen Ängsten. Wir fragen uns: Bin ich noch wichtig? Habe ich etwas falsch gemacht? Warum sagt er nichts? Warum zieht sie sich zurück? Und mit jeder unbeantworteten Frage wächst der Abstand. Was als Schutz gedacht war, wird zur Mauer.

Deshalb lohnt es sich, das eigene Schweigen zu hinterfragen. Nicht ob man schweigt – sondern warum. Bin ich gerade still, weil ich Zeit brauche? Oder will ich dem anderen eine Botschaft schicken, die ich nicht aussprechen will? Schweige ich, um nicht zu verletzen – oder um nicht verletzt zu werden?

Und genauso dürfen wir auf der anderen Seite fragen: Wie gehe ich damit um, wenn jemand mir gegenüber schweigt? Wie viel Raum gebe ich dem anderen, sich zu sortieren? Und wo wird es Zeit, ein Gespräch zu suchen?

Eine Einladung zur Reflektion

Vielleicht gibt es in Deinem Leben gerade eine Situation, in der geschwiegen wird. Vielleicht schweigst Du – weil Dir etwas weh tut, weil Du nicht weißt, wie Du anfangen sollst, oder weil Du hoffst, dass der andere den ersten Schritt macht. Vielleicht schweigt auch jemand Dir gegenüber – und Du fühlst Dich ratlos, ohnmächtig, ausgeschlossen.

Dann möchte ich Dich heute einladen, genau hinzuschauen. Nicht zu bewerten. Nicht zu urteilen. Sondern zu fragen: Was braucht es jetzt? Vielleicht einen Satz. Vielleicht eine Geste. Vielleicht auch nur das ehrliche Eingeständnis: „Ich habe gerade keine Worte – aber ich will, dass Du das weißt.“

Schweigen kann heilen. Und Schweigen kann zerstören. Beides ist wahr. Und manchmal liegt der Unterschied nur in einem einzigen Satz.

Den passenden Podcast zur Folge findest Du auf YouTube und Spotify: „Schweigen – Wenn Worte fehlen und Herzen sich entfernen“. Vielleicht hilft Dir die Folge, das eigene Schweigen oder das eines anderen besser zu verstehen.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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