Unsere Welt von morgen

Wenn die Vogelgrippe vor der eigenen Tür steht

Es gibt Nachrichten, die man nur beiläufig liest – und es gibt Meldungen, die einen aufschrecken lassen. Die Geflügelpest gehört in diesem Herbst zur zweiten Sorte. Heute Morgen habe ich die aktuellen Meldungen gelesen und mir sind dabei viele Gedanken durch den Kopf gegangen, an denen ich euch teilhaben lassen will. Während die Kranichschwärme über Brandenburg ziehen und in der Linumer Teichlandschaft in ungewöhnlicher Zahl verenden, kämpfen Betriebe in mehreren Bundesländern mit akuten Ausbrüchen. In Märkisch-Oderland wurden in einem großen Entenbetrieb zehntausende Tiere getötet, in einem weiteren Bestand mit rund 50.000 Tieren droht dasselbe. Auch Berlin meldet bestätigte Fälle bei Kranichen. Das Friedrich-Loeffler-Institut warnt vor einer Lage, die an den Winter 2020/21 erinnern könnte, als bundesweit mehr als zwei Millionen Tiere gekeult wurden. In Nordrhein-Westfalen mussten in Rees am Niederrhein knapp 19.000 Puten getötet werden; rund um die Betriebe sind Schutz- und Überwachungszonen eingerichtet, inklusive Stallpflicht und Transportbeschränkungen. Das Risiko weiterer Ausbrüche stuft das FLI aktuell als hoch ein – befeuert durch den anhaltenden Vogelzug. Für Verbraucher bleibt das Gesundheitsrisiko nach RKI-Einschätzung sehr gering; durchgegartes Geflügel und hart gekochte Eier gelten als sicher. Doch für Höfe, Natur- und Rastgebiete und alle, die mit Tieren arbeiten, ist diese Welle eine harte Herausforderung.

Gleichzeitig ist das hier mehr als eine Momentaufnahme. Die Viren der aviären Influenza – in diesem Geschehen meist H5N1 – zirkulieren mittlerweile dauerhaft in europäischen Wildvogelpopulationen. Aus Saison wird Grundrauschen, aus Grundrauschen werden Spitzen. Die Bilder aus Linum machen das schmerzhaft sichtbar: über tausend geborgene Kraniche in wenigen Tagen, Forderungen nach mehr Hilfe beim Einsammeln, eine Region in Alarmbereitschaft. Wer heute plant, darf die Biologie nicht mehr als Ausnahme behandeln, sondern als Konstante, die im Hintergrund läuft – und die Prozesse, Wege, Lieferketten und Kommunikation mitbestimmt.

Wenn die Vogelgrippe vor der eigenen Tür steht
Hier soll die Weizengras-Produktionsanlage installiert werden. Zur Zeit werden die Räume verputzt. In wenigen Tagen kann mit dem Aufbau der Anlage begonnen werden. Bild: Zukunft Landwirtschaft e.V.

Das Projekt von Zukunft Landwirtschaft e.V. – Über was wir nachdenken müssen

Unsere Anlage zur Weizengras-Produktion als Futtermittel ist noch nicht in Betrieb – das Gebäude, das sich auf dem Gelände eines Geflügelzucht-Vereins befindet, wird gerade umfassend renoviert. Genau deshalb trifft mich die aktuelle Vogelgrippe-Lage besonders: Sie hat mich wachgerüttelt und sensibilisiert. Heute Morgen sind mir beim Lesen der aktuellen Nachrichten viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Zum Beispiel dass wir, bevor wir mit dem Bau der Futtermittel-Produktionsanlage beginnen, nicht nur über irgendein Hygienekonzept nachdenken sollten, sondern eines, das im Ernstfall auch greift. Dazu gehört im Notfall eine klare Wegeführung für Menschen, Material und Fahrzeuge, eine feste Schleuse mit Händewasch- und Stiefeldesinfektion, definierte Liefer- und Entsorgungsrouten, die saubere Trennung von „rein“ und „unrein“ sowie eine lückenlose Dokumentation, die nicht im Ordner verschwindet, sondern gelebt wird. Oberflächenwasser bleibt draußen, Zugänge bleiben geschlossen, Besucherinnen und Besucher tragen Schutzkleidung, und wer vorher in Beständen gearbeitet hat, hält eine dokumentierte Karenzzeit ein. Das klingt vielleicht übertrieben, ist jedoch aus meiner Sicht dringend zu überdenken. Kurz gesagt: Bevor die erste Kiste Weizengras die Anlage verlässt, müssen Hygiene und Krisenroutine stehen – damit im Ernstfall nicht Stunden verloren gehen, wenn sie am meisten zählen.

Dass Behörden in betroffenen Gebieten schnell Schutz- und Überwachungszonen einrichten, ist keine Theorie. Drei Kilometer enger Schutzradius, zehn Kilometer Überwachung, Stallpflicht und strikte Transportregeln können von heute auf morgen Realität werden. Wer dann seine Prozesse sauber vorbereitet hat, gewinnt Zeit, Vertrauen und Handlungsfähigkeit. Und auch wenn Entschädigungen der Tierseuchenkassen nach Keulungen greifen: Sie ersetzen keine Folgeschäden. Die bisherige Höchstgrenze von 50 Euro pro Tier wird politisch auf bis zu 110 Euro angehoben – ein wichtiger Schritt, aber eben keine Lösung für ausgefallene Lieferungen, Vertragsstrafen und zerschossene Planung.

Unsere Welt von morgen – Nähe zulassen, wo sie stärkt. Distanz schaffen, wo sie schützt

Diese Welle der Geflügelpest ist nicht nur Krise, sie ist auch eine Art Lektion, die wir lernen können. Sie zeigt, wie untrennbar Natur, Tiere, Landwirtschaft, Ehrenamt und regionale Wertschöpfung ineinandergreifen. Vorsorge darf kein Beiwerk sein, sondern Teil des Projektdesigns. Ebenso wichtig ist die Kommunikation: mit dem Veterinäramt, mit Nachbarn, mit Lieferanten, mit der eigenen Community. Und sie macht deutlich, dass Produkte, die Nähe stiften sollen, nur verantwortungsvoll entstehen, wenn an sensiblen Punkten konsequent Distanz organisiert wird.

Für morgen heißt das: Projekte so planen, als wäre es heute schon ernst. Nicht aus Angst, sondern aus Respekt – vor einem Virus, das keine Schlagzeile ist, sondern ein Gegner mit Regeln; vor den Menschen, die Tiere halten, pflegen, einsammeln, reinigen, dokumentieren; vor einer Landschaft, die ernährt und geschützt werden will. Gelingt das, verschwindet die Geflügelpest nicht. Aber ihre Wege werden länger, ihre Wellen flacher, ihre Folgen kleiner. Das ist machbar. Und es beginnt jetzt.

Was meint ihr, sind meine Überlegungen zur Hygiene bei unserem Futtermittel-Projekt übertrieben? Wer von euch hat schon einmal ein solches Hygiene-Konzept erarbeitet? Über eure Rückmeldung in den Kommentaren freue ich mich sehr.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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