• Kalenderblatt

    20.12.1932 – Ein Gesetz der Gnade, Bildungsdrang im Stadttheater in Brieg

    Der Morgen des 20. Dezembers 1932 legte sich wie ein schweres, feuchtkaltes Tuch über die Dächer von Brieg an der Oder. Wenn ich mir heute vorstelle, wie mein Großvater Oswald Winkler in jenen frühen Stunden durch die Grovestraße schritt, sehe ich einen Mann vor mir, der die Welt mit ganz eigenen, von seinem tiefen Glauben geprägten Augen sah. Während der Frost leise an den Fensterscheiben der Stadt knabberte, passierte in Berlin etwas, das das ganze Land in Atem hielt: Der Reichstag verabschiedete das Gesetz über die Straffreiheit. Diese große Weihnachtsamnestie sollte das zerrissene Deutschland kurz vor dem Fest befrieden und tausende Gefangene zurück nach Hause bringen. Für meinen Großvater war…

  • Schimon

    Zeitreise in Wackershofen – Warum uns das einfache Leben so fasziniert

    Gestern Abend habe ich mich in meinen eigenen Fotoalben verloren und bin dabei auf eine Reihe von Bildern gestoßen, die mich sofort wieder in ihren Bann gezogen haben. Sie stammen aus dem Freilandmuseum Wackershofen. Es ist schon seltsam, welche Kraft solche Aufnahmen haben können, denn während ich sie betrachtete, spürte ich sofort wieder diese Faszination, die mich dort immer ergreift. Ich liebe es einfach, durch dieses Museum zu spazieren, mir die alten Gebäude anzusehen und förmlich einzutauchen in eine Zeit, die so ganz anders war als unsere heutige Realität. Es ist jedes Mal wie eine kleine Flucht aus dem Alltag, bei der man sich unweigerlich fragt, wie das Leben damals…

  • Kalenderblatt

    19.12.1932 – Der Fliegende Hamburger, die Stimme Londons und der verordnete Friede

    Es ist Montag, der 19. Dezember 1932, und wenn ich mich in diesen Tag hineinversetze, spüre ich eine seltsame, fast surreale Mischung aus frostiger Winterkälte und hitziger technologischer Aufbruchsstimmung. Wir befinden uns in einer Woche, in der die Menschen eigentlich zur Ruhe kommen sollten, denn Weihnachten steht vor der Tür. Berlin ist grau, die Luft ist schneidend kalt, und der Rauch aus den Kaminen der Mietskasernen legt sich wie eine schwere Decke über die Stadt. Doch genau an diesem Morgen, während viele Menschen in ihren dünnen Mänteln zur Arbeit eilen oder sich in die Schlangen der Arbeitsämter einreihen, geschieht etwas, das wie ein Gruß aus einer glänzenden Zukunft wirkt. Am…

  • Stark durchs Leben

    Wenn die Liebe schläft – Warum wir das Schweigen im Schlafzimmer brechen müssen

    Hand aufs Herz: Wann hast Du Deinen Partner oder Deine Partnerin das letzte Mal wirklich angesehen? Ich meine nicht den flüchtigen Blick beim Frühstück oder das organisatorische Nicken, wenn es darum geht, wer heute den Müll rausbringt. Ich meine diesen Blick, der sagt: „Ich sehe Dich. Ich sehe den Mann oder die Frau in Dir, und ich mag, was ich sehe.“ In vielen langjährigen Beziehungen geht genau dieser Blick irgendwann verloren. Wir richten uns gemütlich in unserem Leben ein, bauen uns ein Nest aus Sicherheit und Vertrautheit, und merken gar nicht, wie sich klammheimlich etwas anderes einschleicht: die Stille. Nicht die angenehme Stille der Zweisamkeit, sondern das Schweigen über unsere…

  • Kalenderblatt

    18.12.1932 – Ein leiser Tod in Schöneberg und das Ende einer Ära

    Es ist der vierte Advent, ein grauer und kalter Sonntag, der über Berlin liegt. In den Wohnzimmern brennen vier Kerzen, und der Duft von Tannennadeln mischt sich mit dem Geruch von Kohleöfen, die gegen den frostigen Winter ankämpfen. Doch während sich die Stadt auf das Weihnachtsfest vorbereitet, senkt sich in Schöneberg eine tiefe Stille über die Bozener Straße 18. Dort schließt an diesem Tag Eduard Bernstein für immer die Augen. Es ist ein Tod, der symbolischer kaum sein könnte, denn mit dem zweiundachtzigjährigen Vordenker der Sozialdemokratie stirbt in gewisser Weise das Gewissen der Republik, nur wenige Wochen bevor diese endgültig zerschlagen wird. Bernstein war der Mann, der an die Reform…

  • Schimon

    Vollgas im Garten: Wie eine Seifenkiste und ein alter Helm mir die Freiheit schenkten

    Wenn ich heute dieses alte, leicht verblasste Foto von mir betrachte, spüre ich sofort wieder dieses ganz spezielle Kribbeln im Bauch, das man nur als Kind hat. Da sitze ich nun, mitten im heimischen Garten, die Hände fest um das kleine Lenkrad geklammert, den Blick stur geradeaus gerichtet, als gäbe es nur mich und die imaginäre Rennstrecke. Das Herzstück dieses Bildes ist aber zweifellos meine Kopfbedeckung. Es ist ein alter, viel zu großer Feuerwehrhelm aus Blech, der fast meinen ganzen Kopf verschluckt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich an diesen Schatz gekommen bin. Es war ein klassisches Tauschgeschäft unter Freunden auf der Straße, bei dem Matchbox-Autos oder Comichefte gegen…

  • Kalenderblatt

    17.12.1932 – Der brüchige Weihnachtsfrieden, ein Kampf gegen die Moderne und Jakobs Begegnung

    Es ist ein Samstag, der sich in Berlin und im ganzen Reich mit einer trügerischen Ruhe über die Dächer legt. Nur noch eine Woche bis Heiligabend, und die Menschen scheinen sich kollektiv danach zu sehnen, die zermürbende Politik für einen Moment aus ihren kalten Wohnstuben zu verbannen. Wenn ich heute durch die Straßen gehe, spüre ich diese seltsame Mischung aus Erschöpfung und einer leisen, fast naiven Hoffnung. Die Geschäfte sind gefüllt, denn es ist der Samstag vor dem Goldenen Sonntag, und wer noch ein wenig Geld beiseitelegen konnte, sucht nach Geschenken, um den Schein der Normalität zu wahren. Das Wetter passt zur gedrückten Stimmung, ein grauer Himmel hängt tief über…

  • Schimon

    Einsamkeit im Kopf: Wenn die eigene Innenwelt zur einsamen Insel wird

    Es ist ein seltsames Phänomen, mitten unter Menschen zu sein, Gespräche zu führen, zu lachen und sich dennoch vollkommen isoliert zu fühlen. Ich spreche hier nicht von der traurigen Einsamkeit, die entsteht, wenn man niemanden hat. Ich spreche von einer ganz anderen Art der Stille. Es ist das Gefühl, dass man zwar körperlich anwesend ist, aber der eigentliche Kern des eigenen Wesens, die Gedanken, die Träume und die Art, wie man die Welt sieht, unsichtbar bleiben. Ich persönlich habe mich noch nie im klassischen Sinne einsam gefühlt, und auch Langeweile ist mir fremd. Wie könnte mir auch langweilig sein, wenn in meinem Kopf ständig neue Welten entstehen, Pläne geschmiedet werden…

  • Kalenderblatt

    16.12.1932 – Zwischen Kaufhausglanz und dunklen Parolen

    Berlin zeigt sich an diesem Freitag von seiner spröden Seite. Es ist trocken, kein Regen fällt vom Himmel, doch die Kälte beißt umso gnadenloser. Das Thermometer klettert kaum über den Gefrierpunkt, maximal fünf Grad werden in Dahlem gemessen, und wer heute Morgen zur Arbeit eilte – oder zum Stempeln –, der zog den Mantel fest um sich. Die Luft ist klar, fast schneidend, passend zur politischen Schärfe, die an diesem 16. Dezember durch die Hauptstadt weht. Denn während die Berliner bibbern, hallt noch das Echo des Vorabends durch die Gassen und Wohnzimmer. Reichskanzler Kurt von Schleicher hat gestern Abend im Rundfunk gesprochen, und heute Morgen ist seine Rede das beherrschende…

  • Kulinarik

    Versteckte Schätze im Eis: Wie uns der Dezember kulinarisch verwöhnt

    Wenn ich dieser Tage morgens aus dem Fenster schaue und den dichten Nebel sehe, der schwer über den Feldern liegt, könnte man leicht glauben, die Natur hätte sich vollständig zurückgezogen. Es ist eine Zeit der Stille, in der die Welt den Atem anzuhalten scheint und wir uns instinktiv nach drinnen verziehen, auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit. Doch dieser Schein der Ruhe trügt, denn gerade jetzt, in der tiefsten Kälte, hält unsere heimische Erde noch immer wundervolle Geschenke für uns bereit. Es berührt mich zutiefst, wenn ich über die Äcker streife und sehe, wie das Leben dem Frost trotzt. Es ist, als würde uns die Natur im Dezember lehren…