11.12.1932 – Die Fünf-Mächte-Erklärung, der Fall Strasser und die trügerische Ruhe
Es ist der dritte Advent, ein kalter, grauer Sonntag, an dem sich eine trügerische Stille über Deutschland legt. Während in den Wohnzimmern die Kerzen brennen und die Menschen versuchen, die wirtschaftliche Not für einen Moment zu vergessen, atmet die Weltpolitik scheinbar auf. Die Zeitungen sind voll von einer Nachricht, die wie ein Befreiungsschlag wirkt und doch, ohne dass es die Leser ahnen, das Tor zur Hölle einen Spalt weiter öffnet. In Genf, weit weg vom Berliner Nieselregen, haben sich die Großmächte geeinigt. „Gleichberechtigung“ ist das Wort der Stunde, das an diesem Tag von den Kanzeln und Stammtischen widerhallt. Man glaubt an Entspannung, an einen diplomatischen Erfolg der Regierung Schleicher, und übersieht dabei völlig, dass im Hintergrund bereits die Weichen für den Untergang gestellt werden. Es ist ein Tag, an dem die Geschichte den Atem anhält, unentschlossen, in welche Richtung sie kippen soll.
Der fatale Handschlag von Genf
Das, was an diesem 11. Dezember als Triumph der Diplomatie gefeiert wird, ist in Wahrheit eine bittere Ironie der Weltgeschichte. In der sogenannten „Fünf-Mächte-Erklärung“ gestehen die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien dem Deutschen Reich die militärische Gleichberechtigung zu. Die Fesseln von Versailles lockern sich. Die Weltgemeinschaft glaubt, durch dieses Zugeständnis den Frieden zu sichern und die deutsche Demokratie zu stabilisieren. Doch sie irren sich gewaltig. Denn genau an diesem Wochenende, während man in Genf Hände schüttelt, vollzieht sich in Berlin eine stille, aber folgenschwere Machtverschiebung. Gregor Strasser, der letzte ernstzunehmende Rivale Hitlers innerhalb der NSDAP, ist politisch isoliert. Seine Chance, die Partei zu spalten und Hitler zu stoppen, verrinnt genau in diesen Stunden. Hitler festigt seine absolute Macht über die Bewegung. Die Tragik dieses Sonntags liegt in seiner Gleichzeitigkeit: Die Welt erlaubt Deutschland, wieder Waffen zu schmieden, genau in dem Moment, in dem der Mann, der diese Waffen nutzen wird, seinen letzten inneren Gegner besiegt. Es ist, als würde man einem Brandstifter Streichhölzer reichen, in der Hoffnung, er würde damit nur den Kamin anzünden.
Zwischen Genf und Jerusalem
Auch in der jüdischen Gemeinschaft herrscht an diesem Tag eine gespenstische Ambivalenz. Viele klammern sich an die Nachrichten aus Genf, in der Hoffnung, dass die Einbindung Deutschlands in internationale Verträge auch Schutz vor dem radikalen Antisemitismus bieten würde. Es ist der Glaube an das Recht, an die Zivilisation, der noch nicht weichen will. Doch tausende Kilometer entfernt, in Palästina, zeichnet sich bereits eine andere Realität ab. Die gerade erst gegründete „Palestine Post“ berichtet an diesem Sonntag über den Aufbau, über neue Siedlungen und die Ankunft von immer mehr Einwanderern. Es ist, als ob dort unten am Mittelmeer bereits ein Rettungsboot gezimmert wird, während die Passagiere in Berlin noch darüber diskutieren, ob das Schiff wirklich sinken könnte. Dieser 11. Dezember lehrt uns, wie schmal der Grat zwischen Rettung und Katastrophe ist. Wir sehen heute, dass Frieden nicht nur durch Verträge auf Papier gesichert wird, sondern durch Wachsamkeit gegenüber jenen, die diese Verträge missbrauchen wollen. Erkennt ihr in unserer heutigen Zeit Momente, in denen wir uns vielleicht zu sehr in falscher Sicherheit wiegen, anstatt genau hinzusehen?
Euer Schimon
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