22.12.1932 – Winterhilfe-Hohn, Getreidezölle und der moralische Bankrott im Schatten der Kohleberge
Es ist ein grauer, klirrend kalter Donnerstag an diesem 22. Dezember 1932, ich schlage die Seiten der Arbeiter-Zeitung auf und habe das Gefühl, direkt in ein tiefes Tal der Hoffnungslosigkeit zu blicken. Die Menschen in Breslau und Berlin zittern nicht nur vor der Kälte, sondern auch vor einer Zukunft, die ihnen immer mehr entgleitet. Die Regierung unter General von Schleicher hat soeben ihre lang angekündigte Winterhilfe beschlossen, doch was da als soziale Wohltat verkündet wird, liest sich für die Betroffenen wie ein schmerzhafter Schlag ins Gesicht. Eine arbeitslose Familie soll pro Woche gerade einmal ein Pfund Fleisch oder ersatzweise Rückenfett um 30 Pfennig verbilligt erhalten, während die Getreidespeicher und Kohlenhalden im Land zum Bersten gefüllt sind. In den Straßen von Berlin bricht sich die Verzweiflung bereits Bahn, wenn hungrige Massen vor den Wohlfahrtsämtern in Kreuzberg demonstrieren und die Polizei mit Gummiknüppeln und gezogenen Pistolen gegen jene vorgeht, die aus nackter Not einen Butterladen stürmen, um wenigstens etwas Fett und Wurst zu ergattern. Es ist eine Zeit, in der ein Arbeiter wie Albert Walthaus aus Stannowig einfach vor seiner eigenen Wohnung erfriert, obwohl allein in Waldenburg 286.300 Tonnen Kohle lagern, die man lieber ungenutzt auf den Halden brennen lässt, statt sie den Frierenden zur Verfügung zu stellen.
Das bittere Paradoxon von Hunger und künstlicher Knappheit
Dass diese Kohleberge ungenutzt bleiben, während Menschen wie Walthaus sterben, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer eiskalten ökonomischen Logik, die ich für Dich heute einmal genauer beleuchten möchte. Hinter dem Paradoxon von Hunger neben vollen Speichern steckte ein System, das den Marktpreis um jeden Preis stabilisieren wollte. Hätten die Zechenbesitzer oder der Staat die Kohle einfach verschenkt, wäre der Marktpreis komplett kollabiert, was die Unternehmen in den Ruin getrieben hätte. Man entschied sich also bewusst für die Vernichtung oder das Liegenlassen von Werten, um den Profit zu schützen. Auch das Ende der Reparationszahlungen durch die Konferenz von Lausanne im Sommer hatte an dieser Situation wenig geändert, da die industrielle Nachfrage im Inland völlig am Boden lag. Das Getreide wiederum wurde durch hohe Schutzzölle künstlich verteuert, um die Großagrarier, die sogenannten Junker in Ostelbien, vor der billigen Auslandskonkurrenz zu schützen. Während auf dem Weltmarkt eine Überproduktion herrschte und die Preise fielen, blieb das Brot für die deutschen Arbeiter unbezahlbar, weil die Regierung die Interessen der Landbesitzer über das nackte Überleben der Bevölkerung stellte. Es ist dieser Zynismus der Macht, der die Atmosphäre in diesem Winter so unerträglich macht und die Menschen in die Arme der Radikalen treibt.
Diplomatische Ohnmacht und tobende Naturgewalten
Während wir hier in der schlesischen Kälte gedanklich ausharren, blickt die Weltöffentlichkeit mit einer Mischung aus Müdigkeit und Zynismus nach Genf, wo der Völkerbund endgültig vor den Trümmern seiner eigenen Bedeutungslosigkeit steht. Seit anderthalb Jahren dröhnen in der Mandschurei die Kanonen des japanischen Imperialismus, doch der 19er-Ausschuss hat seine Verhandlungen am Dienstag ohne jedes greifbare Ergebnis auf Januar vertagt. Es ist das offene Eingeständnis eines moralischen Bankrotts einer Institution, die eigentlich den Weltfrieden sichern sollte, während auch der britisch-persische Ölkonflikt einfach auf die lange Bank geschoben wird. Doch nicht nur das politische Parkett bebt, auch die Erde selbst scheint in Aufruhr zu sein, wenn uns Nachrichten von schweren Erdstößen aus den fernen USA erreichen, die in Salt Lake City die Uhren stehenbleiben ließen und in San Francisco die schweren Kronleuchter im Staatskapitol zum Schwingen brachten. Im Süden Frankreichs kämpfen die Menschen unterdessen nicht gegen das Beben, sondern gegen die Fluten, da anhaltende Regenfälle weite Teile von Narbonne unter Wasser gesetzt und bereits furchtbare Schäden an Häusern und Ernten angerichtet haben. Sogar der Himmel über Paris wurde zum Schauplatz einer Tragödie, als ein Flugzeug nach einer missglückten Todesschleife in ein bewohntes Haus stürzte und 17 Menschen verletzte, während eine Großmutter und ihre Enkelkinder in den Flammen ihr Leben ließen.
Der tiefe Abgrund in der Neudorfstraße und die Gier der Mächtigen
Mitten in diesem weltweiten Chaos offenbart sich in der schlesischen Stadt Breslau eine ganz andere Art von Dunkelheit, wenn man hinter die Fassade des Braunen Hauses in der Neudorfstraße blickt. Dort herrscht ein Sumpf aus Korruption und Gewalt, in dem selbst die eigenen Leute nicht vor der Willkür von Männern wie Edmund Heines sicher sind, der seine Machtbefugnisse gnadenlos missbraucht. Es ist erschütternd zu lesen, wie SA-Männer von ihren eigenen Kameraden wie Vieh zusammengeschlagen und anschließend besinnungslos auf die Straße geworfen werden, während die Führung das Geld aus den Sammelbüchsen der armen Parteigenossen lieber für neue Dienstwagen und luxuriöse Hotelbesuche im Monopol oder Reichshof ausgibt. Während junge Arbeiter in Lagern wie Glogeiche mit wässriger Mehlsuppe abgespeist und unter militärischem Drill schikaniert werden, locken die großen Kaufhäuser wie Messow & Waldschmidt mit ihren Weihnachtsangeboten für jene, die es sich in dieser Krisenzeit noch irgendwie leisten können. Da werden elegante Damenkleider aus Waschsamt und feine Seidenstrümpfe für das Fest angepriesen, während draußen an den Stempelstellen die Wut über die privilegierte Klasse der Beamten und Minister wächst, die sich wie der ehemalige Polizeipräsident Grzesinski ihre üppigen Pensionen mit allen Mitteln sichern. Wenn Du Dir vorstellst, dass damals Getreide künstlich verteuert wurde, nur um die Profite weniger Großgrundbesitzer zu schützen, während Kinder in den Mietskasernen Hunger litten, wie beurteilst Du dieses Handeln der Regierung heute? Mich würde Deine Meinung zu dieser bewussten Entscheidung für den Profit und gegen die Menschen sehr interessieren, also schreib mir Deine Gedanken dazu gerne unten in die Kommentare.
Euer Schimon
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