Kalenderblatt

23.12.1932 – Tränen bei Hitler, Freiheit für Ossietzky und der Schrei nach Brot

Wenn ich mir das vergilbte Blatt der Berliner Volks-Zeitung vom 23. Dezember 1932 ansehe, spüre ich sofort diese beklemmende Mischung aus vorweihnachtlicher Hoffnung und dem harten Aufprall der Realität, die Berlin damals im Griff hatte. Es ist eine Zeit, in der die Republik an allen Ecken und Enden knirscht, und doch gibt es Momente, die mich tief berühren. In den politischen Spalten lesen wir von einer fast schon bühnenreifen Szene, die Otto Strasser bewirkt hat: die sogenannte „Hündchen-Szene“. Nach dem Bruch mit Gregor Strasser soll Hitler vor seinen Getreuen in Tränen ausgebrochen sein, völlig am Ende, während Männer wie Göring und Goebbels mitschluchzten. Es ist ein entlarvender Blick hinter die Fassade der angeblich so starken Männer, die gleichzeitig mit einem Schuldenberg von rund 12 Millionen Mark zu kämpfen hatten. Man merkt bei jedem Satz, wie sehr die Nationalsozialisten vor der neuen Regierung unter Schleicher zittern und einer Auflösung des Reichstags ausweichen wollen, weil ihnen schlicht das Geld für einen neuen Wahlkampf fehlt.

Politische Trümmerhaufen und weinende Anführer

Inmitten dieser politischen Grabenkämpfe gibt es jedoch eine Nachricht, die mich für einen Moment aufatmen lässt: Carl von Ossietzky ist frei. Er wurde am Abend zuvor im Rahmen einer Weihnachtsamnestie aus dem Gefängnis in Tegel entlassen, nachdem er dort sieben Monate wegen seines Mutes und seiner Kritik am deutschen Flugwesen verbüßen musste. Es ist ein seltener Sieg für die Meinungsfreiheit in einem Jahr, das sonst so wenig Grund zur Freude bot. Doch die Gerechtigkeit ist ein zweischneidiges Schwert in diesen Tagen. Während Ossietzky geht, zeigt sich bei der Auslegung der Amnestie eine bittere Ungleichheit: Während Nationalsozialisten, die an blutigen Überfällen beteiligt waren, oft großzügig freigelassen werden, zögert die Staatsanwaltschaft bei Männern wie dem Reichsbannermann Rothe, obwohl seine Schuld am Tod eines Gegners gar nicht bewiesen werden konnte. Diese Schieflage in der Justiz lässt mich nachdenklich zurück, denn sie zeigt, wie tief die Risse in der Gesellschaft bereits damals waren.

Ein Hauch von Freiheit in dunklen Zeiten

Wenn wir den Blick von der hohen Politik weglenken und auf die Straßen Berlins schauen, begegnet uns die nackte Not. Es zerreißt mir fast das Herz zu lesen, dass Menschen aus purem Hunger Lebensmittelgeschäfte plündern. In der Langen Straße drangen Männer in einen Laden ein, nicht um sich zu bereichern, sondern mit dem verzweifelten Ruf: „Wir haben Hunger! Gebt uns zu essen!“. Sie nahmen Wurst und Fleisch mit und verschwanden in der Dunkelheit. Es ist ein Weihnachten der krassen Gegensätze. Auf der einen Seite die Reisebüros, in denen Hochbetrieb herrscht, weil die Menschen ihre Verwandten besuchen oder zum Skifahren ins Erzgebirge wollen. Auf der anderen Seite die bittere Statistik des Wohnungsbaus, die zeigt, dass 1932 kaum noch neue Wohnungen fertiggestellt wurden, was die Not in den überfüllten Mietskasernen nur noch verschlimmerte.

Das wahre Gesicht des Berliner Winters

Selbst in der Ferne sieht es nicht viel besser aus: In den USA ist Präsident Hoover faktisch aktionsunfähig, da die Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger Roosevelt in der Schuldenfrage scheitert, was die globale Wirtschaftskrise weiter anheizt. Und doch, trotz all dieser Schwere, versuchen die Berliner, sich ein Stück Normalität zu bewahren. In den Zeitungen gibt es Anzeigen für Kindervorstellungen von „Robert und Bertram“ im Schillertheater und Radiotipps für den Heiligabend, wenn die Rede des Papstes aus dem Vatikan übertragen wird. Es ist diese Mischung aus Verzweiflung und dem unbedingten Willen, das Fest irgendwie zu feiern. Wie empfindest Du diese Spannung zwischen der Hoffnung auf ein schönes Weihnachtsfest und dem verzweifelten Hunger auf den Straßen? Schreibt mir doch in den Kommentaren, ob Du glaubst, dass man in solch unsicheren Zeiten überhaupt ein friedvolles Fest feiern kann.

Euer Schimon

Bild: Die sozialdemokratische Satirezeitung „Der Wahre Jacob“, 1932


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Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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