Aquaponik – Wissen & Anwendungen

Der Nährstoffkreislauf – das Herz der Aquaponik

Es gibt einen Moment, den fast jeder hat, der mit Aquaponik ernsthaft anfängt. Man steht vor seiner Anlage, schaut ins Wasser, sieht die Fische, sieht die Pflanzen – und denkt: Eigentlich ist das doch simpel. Die Fische werden gefüttert, die Pflanzen wachsen. Fertig. Und dann, spätestens beim ersten Kippen der Wasserqualität, stellt man fest: Nein. Nichts an diesem System ist zufällig. Alles steht und fällt mit dem Kreislauf der Nährstoffe.

Für mich persönlich war das der Punkt, an dem Aquaponik aufgehört hat, „nur spannend“ zu sein – und angefangen hat, mich wirklich zu packen. Weil ich verstanden habe: Hier läuft ein biologischer Prozess auf engem Raum, der normalerweise in einem ganzen Ökosystem passiert. Und wenn man diesen Prozess versteht, dann versteht man Aquaponik. Genau das schauen wir uns jetzt an. Schritt für Schritt. Nicht theoretisch, sondern so, dass Ihr wirklich damit arbeiten könnt.

Vom Fisch zum Salat – was eigentlich hinter den Kulissen passiert

Die Grundlage der Aquaponik ist am Ende etwas sehr Bodenständiges: Futter rein, Gemüse raus. Aber dazwischen findet ein hochkomplexer Stoffwechsel statt.

Die Fische nehmen Futter auf, verwerten einen Teil davon für Wachstum und Energie – und geben den Rest als Ausscheidungen wieder ins Wasser ab. Diese Ausscheidungen enthalten Stickstoffverbindungen, vor allem in Form von Ammoniak (NH₃) und Ammonium (NH₄⁺). Dazu kommen feine Feststoffe: Futterreste, Fischkot, Schleim, Schwebstoffe. Für die Fische selbst ist das Abfall. Für die Pflanzen ist es potenziell Dünger. Aber eben nur potenziell.

Denn: In dieser Rohform sind diese Ausscheidungen für die Pflanzen noch nicht gut verwertbar. Schlimmer noch, Ammoniak ist für Fische giftig, schon in relativ geringen Konzentrationen. Wenn man also einfach nur Fische ins Wasser setzt und Pflanzen darüber hängt, ohne die Zwischenprozesse zu verstehen, kippt das System sehr schnell. Genau deshalb ist der biologische Filter – also die Welt der Mikroorganismen – das eigentliche Herz der Anlage.

Die Bakterien machen die eigentliche Arbeit

Damit der Kreislauf funktioniert, braucht es Bakterien. Und zwar nicht irgendwelche, sondern sehr spezielle Mikroorganismen, die Stickstoff in verschiedenen Stufen umbauen.

Der Prozess läuft grob in drei großen Schritten ab:

  1. Schritt: Ammoniak / Ammonium entsteht. Aus Fischstoffwechsel und Futterresten gelangt Stickstoff in Form von Ammoniak (NH₃) bzw. Ammonium (NH₄⁺) ins Wasser.
  2. Schritt: Nitrit (NO₂⁻) entsteht. Spezialisierte Bakterien – vor allem aus der Gattung Nitrosomonas – wandeln Ammoniak/Ammonium um in Nitrit. Dieser Schritt heißt Nitrifikation (erste Stufe).
  3. Schritt: Nitrat (NO₃⁻) entsteht. Andere Bakterien – typischerweise Nitrobacter oder Nitrospira – wandeln dieses Nitrit weiter um in Nitrat. Das ist die zweite Stufe der Nitrifikation.

Und hier passiert das Entscheidende: Nitrat ist für die Pflanzen in der Regel sehr gut verfügbar und vergleichsweise ungiftig für die Fische.

Das heißt: Die Bakterien nehmen den „Abfall“ aus der Fischhaltung, entschärfen das Toxische und verwandeln ihn in Pflanzennahrung. Die Pflanzen wiederum nehmen das Nitrat (und auch andere Nährstoffe) auf und reinigen damit das Wasser, das anschließend wieder zu den Fischen zurückgeht. Genau das ist der Kreislauf.

Wenn Ihr Euch das als Bild vorstellen wollt: Fisch → Ammoniak → Nitrit → Nitrat → Pflanze → sauberes Wasser → zurück zum Fisch. Das ist Aquaponik in einem Satz.

Warum Ammoniak gefährlich ist – und Nitrat nicht

Ammoniak (NH₃) ist giftig für Fische, weil es in gelöster Form über die Kiemen aufgenommen wird und dort den Gasaustausch stört. Schon Konzentrationen im Bereich weniger Milligramm pro Liter können kritisch werden, je nach Fischart und pH-Wert. Wenn zu viel Ammoniak im Becken ist, fangen die Fische oft an, an der Oberfläche nach Luft zu „schnappen“, obwohl eigentlich genug Sauerstoff im Wasser wäre. Das ist ein Alarmzeichen.

Nitrit (NO₂⁻) ist der zweite kritische Punkt. Nitrit blockiert den Sauerstofftransport im Blut der Fische. Man spricht hier oft vom „Braune-Blut-Krankheit“-Effekt, weil sich das Blut der Tiere verfärben kann. Auch Nitrit darf also nicht hochgehen.

Nitrat (NO₃⁻) ist in normalen Konzentrationen deutlich weniger problematisch für Fische und gleichzeitig gut nutzbar für Pflanzen. Genau deshalb ist ein sauber laufender bioaktiver Filter so entscheidend. Wenn diese bakterielle Kette unterbrochen ist – zum Beispiel weil ein neuer Filter noch nicht „eingefahren“ ist oder weil der Biofilm zerstört wurde – dann sammeln sich Ammoniak und/oder Nitrit. Das führt sehr schnell zu Stress oder sogar Verlusten im Fischbestand.

Das klingt jetzt technisch, aber in der Praxis bedeutet es etwas sehr Einfaches: Die Fische leben in einem Medium, das durch Bakterien stabilisiert wird, nicht durch Wasser an sich. Wasser ist nur die Bühne. Die Bakterien sind die eigentlichen Sicherheitsleute.

Wo diese Bakterien leben – und warum Oberflächen so wichtig sind

Diese nitrifizierenden Bakterien schweben nicht einfach frei im Wasser herum. Sie siedeln sich an Oberflächen an. Alles, was permanent feucht ist und von langsam strömendem, sauerstoffreichem Wasser durchflossen wird, wird zu ihrem Zuhause: Filtermaterial, Blähton, Rohrinnenflächen, Wurzelzonen.

In einer Aquaponikanlage gibt es deshalb meistens einen sogenannten Biofilter oder bioaktive Zonen, in denen diese Bakterien Raum bekommen. Das kann sehr technisch aussehen – mit statischen oder bewegten Filtermedien (Moving Bed Biofilter, MBBR) – oder sehr schlicht sein, zum Beispiel ein gut eingefahrenes Medienbeet mit Blähton.

Je größer die Oberfläche, desto mehr Lebensraum für Bakterien. Deswegen funktionieren poröse Materialien wie Blähton, Lavagestein oder spezielle Kunststoffträger so gut: Sie geben den Bakterien immens viel Platz pro Liter Volumen.

Wenn man das versteht, versteht man auch, warum „Filter reinigen“ kein banaler Vorgang ist. Wer einen Biofilter zu gründlich ausspült – vor allem in chlorhaltigem Leitungswasser – kann die Bakterienpopulation massiv schädigen. Danach muss sich das System biologisch neu stabilisieren. In dieser Phase sieht man oft steigende Ammoniak- und Nitritwerte.

Deshalb ist eine Regel in der Praxis: Nie alles gleichzeitig sauber machen. Immer in Etappen.

Der pH-Wert – unsichtbar, aber entscheidend

Jetzt kommen wir zu einem Punkt, den viele Anfänger unterschätzen: den pH-Wert.

Der pH-Wert beeinflusst zwei Dinge gleichzeitig:

  1. Er bestimmt, in welcher Form der Stickstoff im Wasser vorliegt.
  2. Er entscheidet darüber, wie gut die Pflanzen bestimmte Nährstoffe aufnehmen können.

Zu Punkt 1: Ammonium (NH₄⁺) und Ammoniak (NH₃) sind chemisch gesehen zwei Zustände derselben Sache. Welcher Anteil gerade vorliegt, hängt stark vom pH-Wert ab. Bei höherem pH (z. B. 8,0 oder darüber) verschiebt sich das Gleichgewicht Richtung Ammoniak, also Richtung „giftig“. Bei niedrigerem pH (6,5 bis 7,0) liegt mehr in Form von Ammonium vor, das weniger giftig ist. Heißt übersetzt: Ein hoher pH kann ein ansonsten stabiles System plötzlich gefährlich machen.

Zu Punkt 2: Pflanzen mögen leicht saure bis schwach neutrale Bedingungen, in denen viele Nährstoffe (z. B. Eisen, Spurenelemente) gut verfügbar sind. In klassischen Aquaponiksystemen landet man oft in einem Kompromissbereich zwischen 6,8 und 7,2. Das ist ein Bereich, in dem die Fische noch klarkommen, die Bakterien gut arbeiten – und die Pflanzen nicht hungern.

Dieser Kompromissbereich ist kein Zufall. Er ist das Ergebnis von Biologie. Ein Aquaponiksystem zwingt Dich, die Bedürfnisse von drei völlig unterschiedlichen Lebenswelten gleichzeitig auszubalancieren: Fisch, Pflanze, Mikrobe. Genau hier trennt sich „ein bisschen hübsches Gemüse überm Aquarium“ von ernstzunehmender Aquaponik.

Sauerstoff – ohne Luft kein Leben

All das funktioniert nur, wenn genug Sauerstoff da ist. Die Umwandlung von Ammoniak zu Nitrit und von Nitrit zu Nitrat ist ein streng aerober Prozess. Das heißt: Die beteiligten Bakterien brauchen Sauerstoff.

Wenn zu wenig gelöster Sauerstoff im Wasser ist, brechen genau diese Prozesse ein. Dann sammeln sich Ammoniak und Nitrit an, also genau die Stoffe, die die Fische stressen oder sogar töten können.

Deshalb ist Belüftung kein Luxus, sondern Pflicht. Belüftete Biofilter, Luftsteine in Becken, Oberflächenbewegung, Rückläufe mit Fallhöhe – all das hat einen Zweck: Sauerstoff ins System bringen. Wenn Ihr je seht, dass die Fische oben „hecheln“, ist das ein Notfall, kein Schönwetter-Detail.

Und Sauerstoff betrifft nicht nur die Fische, sondern auch die Pflanzen. Wurzeln mögen keine stehende, gammelige, sauerstoffarme Brühe. Sie mögen klares, sauerstoffreiches Wasser, das sie versorgt, aber nicht erstickt. Auch deshalb sind manche Systeme – zum Beispiel tiefes, stehendes Wasser ohne Belüftung – langfristig instabil.

Temperatur – die stille Variable

Temperatur steuert die Geschwindigkeit des gesamten Kreislaufs. Je wärmer das Wasser (bis zu einem gewissen Punkt), desto schneller arbeiten die Bakterien, desto schneller wird Ammoniak umgewandelt, desto schneller wachsen die Fische – und desto schneller brauchen die Pflanzen Nährstoffe.

Das klingt erstmal gut. Aber Temperatur hat zwei Haken:

  1. Warmes Wasser kann weniger Sauerstoff binden als kaltes Wasser. Das heißt: Je wärmer, desto weniger Sauerstoff steht zur Verfügung – bei gleichzeitig höherem Bedarf.
  2. Nicht jede Fischart und nicht jede Pflanze mag dieselbe Temperatur.

Tilapia zum Beispiel fühlen sich wohl im Bereich um 24–28 °C. Salat dagegen wächst am liebsten deutlich kühler. Wenn man also Tilapia und Salat im selben Wasserkreislauf fahren will, muss man Kompromisse aushandeln – oder irgendwann über getrennte (entkoppelte) Systeme nachdenken. Genau deshalb sind professionelle Anlagen heute oft nicht mehr „ein Kreislauf für alles“, sondern modular aufgebaut.

Was dieser Kreislauf praktisch für Dich bedeutet

Wenn wir den Nährstoffkreislauf als Herz der Aquaponik bezeichnen, dann nicht, weil es schön klingt, sondern weil hier entschieden wird, ob die Anlage stabil läuft oder schleichend aus dem Ruder gerät.

Ein paar Punkte aus der Praxis, die ich über die Jahre immer wieder gesehen habe – in eigenen Anlagen und in Projekten, die ich begleiten durfte:

  • Ein System stirbt selten an zu wenig Technik. Es scheitert öfter an falscher Balance.
  • Wer die Bakterien ignoriert, verliert.
  • Geduld am Anfang zahlt sich aus. Ein neuer Biofilter braucht Zeit, um „einzufahren“ – manchmal Wochen. In dieser Zeit fährt man niedrige Besatzdichten, füttert moderat und misst regelmäßig Ammoniak, Nitrit, Nitrat.
  • Pflanzen sind ehrliche Rückmelder. Wenn sie nicht wachsen, stimmt oft etwas Grundsätzliches im Kreislauf nicht.
  • Fische lügen nicht. Wenn sie nervös, verfärbt, apathisch am Boden oder schnappend an der Oberfläche hängen, manchmal auch springen, dann ist das System nicht stabil.

Ich habe in den letzten Jahren viele Anlagen gesehen, bei denen Menschen dachten, sie hätten ein Pumpen- oder Technikproblem. In Wirklichkeit hatten sie ein Biologieproblem.

Und genau deshalb ist Wissen über den Nährstoffkreislauf kein „nice to have“, sondern Grundvoraussetzung.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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