Stark durchs Leben

Liebe am Limit – Wenn zwischen Stall und Küche die Zärtlichkeit verstummt

Es gibt diesen einen Moment am Abend, wenn die schweren Stiefel endlich im Flur stehen, die Kinder versorgt sind und sich eine seltsame Stille über den Hof legt. Eigentlich wäre jetzt die Zeit für uns. Zeit für Nähe, für ein Gespräch, das nicht um Futterpreise oder den Wetterbericht kreist, Zeit für Zärtlichkeit. Doch wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue und ehrlich in die Gesichter der Menschen blicke, die in der Landwirtschaft leben, sehe ich oft eine bleierne Müdigkeit, die alles andere überlagert. Wir sprechen viel über Ernteausfälle, über die körperliche Schinderei und die politische Wut, aber wir schweigen eisern über das, was in unseren Schlafzimmern passiert – oder eben nicht mehr passiert. Es ist ein Tabu, zuzugeben, dass die Liebe nicht am fehlenden Willen stirbt, sondern schlichtweg an der Erschöpfung erstickt. Wer den ganzen Tag im Überlebensmodus kämpft, dessen Körper schüttet keine Glückshormone aus, sondern Stresssignale. Wenn der Körper nur noch ein Werkzeug ist, das funktionieren muss, bleibt oft kein Raum mehr für das weiche, verletzliche Empfinden, das für echte Erotik notwendig wäre.

Wenn das Schlafzimmer keine Mauern hat

Besonders schmerzhaft wird diese Sprachlosigkeit, weil sich viele Paare schleichend von Liebenden in perfekte Geschäftspartner verwandeln. Man sieht den anderen den ganzen Tag in Arbeitskleidung, riecht den Stall, bespricht Kontostände und Strategien. Man wird zu einer perfekt geölten Maschine, einer „GbR“ des Lebens. Doch mit dem Geschäftspartner schläft man nicht. Das Geheimnis, das Knistern, das oft durch eine gewisse Distanz entsteht, geht im gläsernen Alltag des Hofes verloren. Hinzu kommt oft eine Wohnsituation, die jede Spontanität im Keim erstickt. Wenn die Wände dünn sind und die Schwiegereltern im Stockwerk darunter jeden Schritt hören können, wird das Schlafzimmer von einem Ort der Freiheit zu einer belagerten Festung. Ich glaube, viele Frauen können sich gar nicht mehr fallen lassen, weil sie sich in ihrem eigenen Zuhause nie unbeobachtet fühlen. Die Sexualität wird dann oft zu einer weiteren Pflicht auf der endlosen To-Do-Liste, etwas, das man erledigt, damit der Hausfrieden gewahrt bleibt. Doch eine Pflichtübung nährt nicht die Seele, sie macht sie nur noch leerer.

Die Wiederentdeckung der Berührung

Vielleicht müssen wir lernen, die Ansprüche an uns selbst drastisch herunterzuschrauben, um die Liebe zu retten. Es geht nicht darum, nach einem 14-Stunden-Tag noch eine leidenschaftliche Performance abzuliefern wie im Film. Es geht vielmehr darum, den Weg zurück zur einfachen, absichtslosen Berührung zu finden. Das Händchenhalten auf dem Sofa, das Anlehnen, ohne dass gleich mehr daraus werden muss – das sind die kleinen Gesten, die uns daran erinnern, dass wir mehr sind als nur Arbeitskräfte. Wir müssen das Schlafzimmer zur „hoffreien Zone“ erklären, zu einem heiligen Ort, an dem Probleme, Schulden und Konflikte Hausverbot haben. Es ist ein langer Weg, den Partner wieder als Mann oder Frau zu sehen und nicht nur als denjenigen, der den Laden am Laufen hält. Aber es ist der einzige Weg, um nicht innerlich zu verhärten. Liebe in der Landwirtschaft ist kein Sprint voller Feuerwerk, sie ist ein Marathon, der viel Nachsicht und Sanftmut mit unserer eigenen Erschöpfung verlangt.

Wie schafft ihr es, euch im stressigen Alltag Inseln der Zweisamkeit zu bewahren? Habt ihr Rituale, um mal nicht über den Betrieb zu sprechen, oder kennt ihr dieses Schweigen nur zu gut? Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr eure Gedanken – gerne auch anonym – in den Kommentaren teilt.

Euer Schimon


Entdecke mehr von Schimons Welt

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

Kommentar verfassen