Saisonal genießen: Was ein 99-Cent-Kohl in mir ausgelöst hat
Gestern Abend stand ich im Supermarkt, mitten im hellen Licht der Neonröhren, und mein Blick blieb an zwei Kisten Blaukraut und Weißkohl hängen. Das Preisschild schrie mir förmlich entgegen: 99 Cent. In diesem Moment blieb die Welt für mich einen kurzen Augenblick stehen. Ich nahm einen dieser Kohlköpfe in die Hand, spürte sein Gewicht, die feste Struktur der Blätter und dachte sofort an die Hände, die ihn geerntet haben. Wie viel, so fragte ich mich, bleibt bei einem solchen Preis eigentlich noch für den Bauern übrig? Es ist eine Frage, die schmerzt, wenn man die Arbeit auf dem Feld kennt, den Schweiß, das Hoffen auf gutes Wetter und die unermüdliche Pflege, die in jedem einzelnen Stück Gemüse steckt. Dieses Preisschild war für mich mehr als nur ein Angebot; es war ein Symbol dafür, wie sehr wir uns manchmal von den Wurzeln unserer Nahrung entfernt haben.
Die Illusion des ewigen Sommers
Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Sommer niemals endet. Wenn wir im tiefsten Winter Lust auf Spargel haben, greifen wir ins Regal und halten ein Bündel in der Hand, das oft eine halbe Weltreise hinter sich hat. Spargel aus Peru, mitten im Dezember. Was das wirklich bedeutet, verdrängen wir oft. Damit dieses empfindliche Gemüse frisch bei uns ankommt, muss es meist mit dem Flugzeug transportiert werden. Ein Kilo dieses Spargels verursacht so viel CO₂ wie eine Autofahrt von ca. 100 Km, und oft raubt der Anbau in trockenen Regionen den Menschen vor Ort das Trinkwasser. Wir erkaufen uns unseren genussvollen Moment also auf Kosten der Umwelt und anderer Menschen. Dabei haben wir fast vergessen, wie man die Zeit überbrückt, bis die Natur hierzulande wieder soweit ist. Früher war der Keller der Schatz des Hauses. Tomaten wurden eingekocht, Gurken eingelegt. Ein Glas eingemachte Tomatensoße ist quasi „konserviertes Sonnenlicht“. Es steht still im Regal und verbraucht keine Energie mehr. Ganz anders als die moderne Tiefkühltruhe, die Tag und Nacht brummt und Strom frisst, nur damit wir jederzeit Zugriff auf alles haben. Vielleicht ist die Rückbesinnung auf die gute alte Konserve oder das Einmachglas nicht altmodisch, sondern der modernste und vernünftigste Weg, den wir gehen können.
Die Begegnung am Feldrand
Diese Gedanken begleiteten mich, als ich heute nach Hause fuhr. Mein Weg führte mich an einem abgeernteten Kohlfeld vorbei. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Person, die sich bückte und einen der liegengebliebenen Kohlköpfe aufhob. Mein erster Impuls war streng: Das ist eigentlich Diebstahl, dachte ich. Doch dann hielt ich inne. Vielleicht hatte dieser Mensch den Landwirt vorher gefragt? Oder vielleicht war es einfach der instinktive Wunsch, dieses wertvolle Lebensmittel nicht verrotten zu lassen. Es war ein fast rührender Moment der Wertschätzung für das, was die Erde uns schenkt, auch wenn es vielleicht illegal war. Und während ich weiterfuhr, wurde mir eines klar: Warum machen wir es uns so kompliziert? Warum gehen wir in den Supermarkt oder „stibitzen“ auf dem Feld, wenn die Lösung so nah liegt? Der Hofladen des Bauern ist oft nur wenige Minuten entfernt. Dort bekommen wir die Ware, die jetzt gerade Saison hat, die keine Weltreise hinter sich hat und bei der das Geld dort ankommt, wo es hingehört: bei den Menschen, die unser Essen anbauen. Es ist so einfach, Verantwortung zu übernehmen – es beginnt mit dem nächsten Einkauf.
Wie geht ihr mit dem Thema Saisonalität um? Fällt es euch schwer, im Winter auf Erdbeeren und Co. zu verzichten, oder habt ihr vielleicht sogar noch eigene Vorräte im Keller? Schreibt mir eure Meinung und eure Tipps gerne in die Kommentare – ich bin gespannt auf eure Geschichten!
Euer Schimon
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