Kunst

Richard Huber 1940: Das dunkle Geheimnis um das Gemälde „Zigeuner“

Manchmal stehe ich in einer Ausstellung und ein Bild lässt mich nicht mehr los. Nicht, weil es das lauteste oder bunteste im Raum wäre, sondern weil es mir eine Geschichte zuflüstert, die auf den ersten Blick gar nicht da ist. So erging es mir im Dachauer Bezirksmuseum, als ich vor einem Ölgemälde stand, das den schlichten Titel „Zigeuner“ trägt. Es zeigt eine Szene, wie sie romantischer kaum sein könnte: Wohnwagen stehen unter Bäumen, Pferde warten ruhig und eine Frau ist mit einer Ziege unterwegs. Der Maler Richard Huber hat diese Szene mit einem kräftigen, lebendigen Pinselstrich eingefangen. Die Farben sind erdig und gedeckt, man spürt förmlich die Stimmung eines längst vergangenen Tages. Als ich die Erlaubnis bekam, dieses Werk zu fotografieren, hatte ich sofort den Impuls, ihm Leben einzuhauchen. Mein Motto „Kunst die bewegt“ ist für mich wörtlich zu nehmen. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz habe ich den Figuren und Tieren ihre Beweglichkeit zurückgegeben. Es ist ein fast magischer Moment in meinem kleinen Film, wenn die Menschen plötzlich den Kopf drehen und die Tiere zu atmen scheinen. Besonders berührt hat mich die Ziege, die nun ganz lebendig neben der Frau herläuft – frei und ohne Leine, ein kleines, unschuldiges Symbol der Ungebundenheit. Während die Bäume im Hintergrund starr und unbeweglich bleiben, als würden sie als stumme Zeugen den Atem anhalten, erwacht das Leben im Vordergrund. Es ist mein persönliches Geschenk an den Künstler – ein Traum, den er selbst nie träumen konnte.

Richard Huber 1902 – 1982 „Zigeuner“, um 1940 Öl auf Leinwand, Museumsverein Dachau

Die Stille vor dem Sturm

Doch während ich dem Bild digital Leben einhauchte, stieß ich auf das Datum seiner Entstehung, und plötzlich bekam die friedliche Szene Risse. Das Gemälde entstand um 1940 in Dachau. Wer die Geschichte kennt, dem läuft es bei dieser Kombination eiskalt den Rücken herunter. Während Richard Huber, ein anerkannter „Ur-Dachauer“ Künstler, diese Menschen in ihrer vermeintlichen Freiheit malte, war nur wenige Kilometer entfernt das Konzentrationslager Dachau bereits ein Ort des Schreckens. 1940 war das Jahr, in dem der Terror der Nationalsozialisten gegen Sinti und Roma von Diskriminierung in systematische Verfolgung umschlug. Ich habe mich gefragt: Was dachte Huber, als er den Pinsel ansetzte? Er war kein Widerstandskämpfer, seine Kunst war im Dritten Reich anerkannt und wurde sogar in München ausgestellt. War dieses Bild eine naive Romantisierung? Sah er in diesen Menschen nur ein exotisches Motiv, während die echte Welt um sie herum in Flammen aufging? Oder ist es vielleicht ein unbewusstes Dokument der Menschlichkeit? Wenn Ihr Euch meine Animation des Bildes anseht, dann seht Ihr nicht nur bewegte Pixel. Ihr seht einen eingefrorenen Moment aus einer Zeit, in der Kunst und Grauen Tür an Tür wohnten. Dass ich diese Menschen heute in meinem Film virtuell lebendig mache, während ihnen damals das Leben genommen wurde, ist für mich ein Akt der Erinnerung.

Wie geht es Euch, wenn Ihr solche Kunstwerke seht, deren Entstehungsgeschichte so schwer wiegt? Könnt Ihr die Schönheit des Bildes und die Lebendigkeit der Animation genießen oder überwiegt das Wissen um die Geschichte? Ich freue mich sehr auf Eure Gedanken in den Kommentaren.

Euer Schimon

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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