Hinter der Hofidylle – Die unsichtbare Last der Bäuerinnen
Wenn ich durch unsere wunderschönen ländlichen Regionen fahre, vorbei an gepflegten Hofstellen mit blühenden Geranien vor den Fenstern und weidenden Tieren auf den Wiesen, dann spüre ich oft diese tiefe Sehnsucht nach dem heilen Landleben. Es ist ein Bild, das wir alle gerne sehen wollen und das uns ein Gefühl von Beständigkeit gibt. Doch in letzter Zeit, besonders seit ich mich intensiv mit der „Bäuerinnenstudie Bayern“ beschäftigt habe, sehe ich diese Idylle mit anderen Augen. Ich frage mich, was hinter den schweren Eichentüren passiert, wenn die Stallarbeit getan ist und die Dämmerung einsetzt. Die Realität, die mir bei meiner Recherche begegnet ist, hat mich tief berührt, denn sie erzählt von Frauen, die das unsichtbare Fundament unserer Landwirtschaft bilden und dabei eine Last tragen, die für viele von uns kaum vorstellbar ist.
Die Managerin im Dauereinsatz
Wir sprechen oft von „dem Landwirt“ oder „dem Bauern“, doch die Wahrheit ist, dass ein Hof ohne die Frau oft gar nicht überlebensfähig wäre. Die Bäuerin von heute ist eine Hochleistungsmanagerin, die einen Spagat meistert, der fast unmenschlich erscheint. Sie ist nicht nur für den Haushalt und die Kindererziehung verantwortlich – Aufgaben, die sie laut den Daten fast immer allein schultert –, sie steht auch ihren „Mann“ im Stall, führt die komplizierte Buchhaltung und baut oft noch ganz neue Geschäftszweige wie Hofcafés oder Direktvermarktung auf. Was mich dabei besonders schmerzt, ist die Erkenntnis, wie wenig Raum für sie selbst bleibt. Wenn eine Frau weniger als fünf Stunden in der Woche für sich hat, um einfach mal durchzuatmen, dann ist das kein Leben in Freiheit, sondern ein Dasein im ständigen Bereitschaftsmodus. Besonders bitter ist die Diskrepanz zwischen dieser enormen Leistung und der eigenen Absicherung. Viele Frauen haften gemeinsam mit ihren Männern für die Schulden des Hofes, tragen also das volle unternehmerische Risiko, stehen aber auf dem Papier oft ohne eigene Rente oder Absicherung da. Sie investieren ihre ganze Kraft, ihre Liebe und ihre Lebenszeit in das Familienerbe, bleiben aber rechtlich gesehen oft nur Randfiguren.
Wenn Gehen keine Option ist
Es gibt eine Statistik in der Landwirtschaft, die auf den ersten Blick wie ein romantisches Märchen wirkt: Die Scheidungsraten sind deutlich niedriger als im Rest der Gesellschaft. Lange habe ich geglaubt, das liege an den traditionellen Werten. Doch wenn man tiefer blickt, offenbart sich oft ein „goldener Käfig“. Ein Hof ist kein normales Haus, das man bei einer Trennung einfach verkaufen und aufteilen kann. Eine Scheidung bedroht oft die Existenz des ganzen Betriebes, das Erbe von Generationen. Wohin soll eine Frau auch gehen, wenn ihr Zuhause gleichzeitig ihr Arbeitsplatz ist und die Schwiegereltern im selben Haus wohnen? Diese ökonomische Fessel und die enorme soziale Kontrolle auf dem Dorf führen dazu, dass viele Paare zusammenbleiben, auch wenn die Liebe längst der Erschöpfung gewichen ist. Nach außen hin wird bei den Treffen der Landfrauen oft das Bild der starken Gemeinschaft gepflegt, und das ist auch gut und wichtig. Aber die wirklichen Nöte, die Einsamkeit und die Überforderung, werden oft aus Scham verschwiegen. Wer gibt schon gerne zu, dass die Kraft nicht mehr reicht, wenn alle Nachbarn zusehen? Es sind oft die stillen Helfer, wie die landwirtschaftliche Familienberatung, die dann versuchen, die Scherben aufzukehren, wenn die heile Welt Risse bekommt. Wir sollten aufhören, nur die schöne Fassade zu bewundern, und anfangen, die enorme menschliche Leistung dieser Frauen wirklich zu sehen und wertzuschätzen.
Euer Schimon
Wichtige Anlaufstellen für den Notfall
Wenn du dich in diesem Text wiedererkennst oder jemanden kennst, der Hilfe braucht, gibt es diskrete Unterstützung, die die besondere Situation in der Landwirtschaft versteht:
- Landwirtschaftliche Familienberatung (LFB): Hier finden sich Ansprechpartner, die oft selbst aus der Landwirtschaft kommen und auch zu den Höfen fahren oder neutral beraten. Mehr Informationen…
- SVLFG Krisenhotline: Rund um die Uhr Unterstützung in psychischen Krisen. Telefon: 0561 785-10512
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Wie nehmt ihr die Situation der Frauen in der Landwirtschaft wahr? Kennt ihr solche Schicksale aus eurem Umfeld oder seid ihr vielleicht selbst betroffen und möchtet eure Gedanken dazu teilen? Ich freue mich sehr auf einen ehrlichen Austausch mit euch in den Kommentaren.
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