Podcast

Wie Dein Stolz Dich heimlich von Menschen trennt – und was Du dagegen tun kannst

Es gibt dieses leise Gefühl, das wir alle kennen. Es kommt nicht mit Getöse, sondern mit einem stillen Ziehen im Bauch. Manchmal mischt sich Traurigkeit hinein, manchmal Ärger. Und sehr oft: Schweigen. Es ist das Gefühl, verletzt worden zu sein – und nichts zu sagen. Nicht, weil es egal wäre. Sondern weil etwas in uns sagt: Jetzt bin ich dran. Jetzt soll der andere sich melden. Jetzt reicht’s.

Was da in uns spricht, ist unser Stolz. Und der ist nicht grundsätzlich schlecht. Im Gegenteil. Stolz ist ein Gefühl, das uns Würde gibt. Eine innere Haltung, die sagt: Ich bin mir selbst etwas wert. Stolz kann uns Kraft geben, Rückgrat, Haltung. Es ist der Teil in uns, der Nein sagt, wenn etwas nicht gut für uns ist. Der uns schützt, wenn andere über unsere Grenzen gehen. Stolz kann eine wichtige Grenze ziehen – gegen Missbrauch, gegen Demütigung, gegen Selbstverleugnung. Doch es gibt eine andere Seite.

In meinem Podcast habe ich erzählt, wie eine Freundschaft langsam in die Stille gerutscht ist. Eineinhalb Jahre kein Kontakt – obwohl es vorher immer wieder diese Phasen gab, in denen wir uns einfach wieder getroffen haben. Und plötzlich tat es weh, dass nichts mehr kam. Ich war verletzt. Und ich war stolz. Stolz genug, um nicht nachzufragen. Nicht zu schreiben. Nicht zu sagen: „Hey, was ist los?“

Was mich daran so berührt hat, war die Erkenntnis, dass ich mir selbst im Weg stand. Ich hätte handeln können. Aber ich habe gewartet. Ich habe dem anderen das Feld überlassen. Ich wollte nicht der sein, der „nachläuft“. Denn das hätte mich verletzlich gemacht. Und genau hier beginnt die andere Seite des Stolzes – die destruktive.

Stolz kann uns nämlich auch gefangen halten. Er kann zu einer Mauer werden, die wir Stein für Stein selbst aufbauen. Aus Enttäuschung, aus Kränkung, aus Angst, schwach zu wirken. Und plötzlich haben wir nicht mehr nur den anderen verloren – sondern auch uns selbst ein Stück.

Warum wir stolz sind

Stolz entsteht oft aus Unsicherheit. Das klingt erstmal widersprüchlich – aber eigentlich ist es ganz logisch. Wenn wir uns nicht ganz sicher sind, ob wir „gut genug“ sind, ob wir es „wert sind“, gesehen zu werden, dann greifen wir auf Stolz zurück wie auf eine Rüstung. Eine Schutzschicht, die uns unangreifbar machen soll. Wir sagen: „Ich brauche niemanden.“ Oder: „Wenn er oder sie mich wirklich lieben würde, würde er oder sie es schon merken.“

In Wahrheit steckt dahinter oft eine tiefe Sehnsucht nach Nähe. Aber wir trauen uns nicht, sie zu zeigen. Denn Nähe macht verletzlich. Und Stolz schützt. Zumindest glauben wir das.

Manchmal ist Stolz auch ein erlerntes Verhalten. Wir haben vielleicht in unserer Kindheit erfahren, dass Gefühle nicht willkommen waren. Dass man „stark“ sein muss. Dass man nicht bitten darf. Nicht nachgeben. Nicht weich sein. Und so tragen wir diesen Stolz weiter – auch wenn er uns längst nicht mehr hilft, sondern behindert.

Wo Stolz gesund ist

Es gibt gesunden Stolz. Wenn Du auf etwas zurückblickst, das Du erreicht hast. Wenn Du spürst: „Das habe ich mit meinen eigenen Händen, mit meinem Mut, mit meinem Herz geschafft.“ Das ist Stolz, der nährt. Der Dich stärkt. Der Dir Identität gibt.

Gesunder Stolz zeigt sich auch darin, zu sich selbst zu stehen. In Beziehungen zum Beispiel: Wenn Du spürst, dass Dich jemand klein hält, ständig übergeht, nicht respektiert – dann ist Stolz wichtig. Dann darfst Du gehen. Dann darfst Du sagen: „So nicht.“

Stolz ist auch wichtig, wenn es darum geht, Deine Werte zu leben. Wenn Du zu Deiner Meinung stehst. Zu Deiner Geschichte. Zu Deinem Glauben. Auch dann, wenn andere das nicht verstehen oder akzeptieren. Das ist der Stolz, der Dich trägt.

Wo Stolz uns aufhält

Doch Stolz kann zur Falle werden, wenn er Dich davon abhält, den ersten Schritt zu machen. Wenn er Dich lähmt. Wenn er Beziehungen vergiftet, die eigentlich voller Potenzial wären – voller Nähe, Tiefe, Entwicklung.

Dann ist Stolz kein Zeichen von Stärke mehr – sondern von Angst. Angst davor, abgelehnt zu werden. Angst davor, sich zu zeigen. Angst davor, sich klein zu fühlen. Und genau hier dürfen wir ehrlich mit uns selbst sein.

Wir dürfen uns fragen: Was ist mir wichtiger – mein verletzter Stolz oder die Verbindung zu einem Menschen? Will ich Recht behalten oder wieder ins Gespräch kommen? Will ich mich schützen – oder öffnen?

Manchmal ist es der größte Akt von Selbstachtung, über den eigenen Schatten zu springen. Nicht, um zu verlieren. Sondern um wieder zu gewinnen. Klarheit. Frieden. Vielleicht sogar Versöhnung.

Wenn Du beim Lesen jemanden im Kopf hattest – vielleicht jemanden, von dem Du dich entfernt hast – dann frag Dich: Was hält mich zurück?
Ist es wirklich der andere? Oder ist es mein Stolz? Und wenn es der Stolz ist – schützt er mich noch? Oder hindert er mich längst daran, heil zu werden?

Vielleicht ist genau heute der richtige Moment, einen Brief zu schreiben. Eine Nachricht zu schicken. Oder einfach zu sagen: „Ich wollte nur mal hören, wie es Dir geht.“

Nicht immer kommt etwas zurück. Aber Du hast dann das Wichtigste getan: Du bist über Dein Ego hinausgewachsen. Und manchmal liegt genau darin der Beginn von etwas Neuem.

Passend zu diesem Artikel findest Du auf YouTube und Spotify die aktuelle Podcastfolge „Ego und Stolz – Warum wir oft nicht loslassen können“. Hör gern rein – vielleicht steckt darin genau der Impuls, den Du heute brauchst.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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