
Die Erschöpfung der Leistungsgesellschaft
Neulich, beim Einkaufen, kam ich mit jemandem ins Gespräch. Eigentlich war es nur so ein beiläufiger Austausch zwischen Tür und Angel, aber irgendwann fiel ein Satz, der mich seitdem beschäftigt: „Manchmal benehmen sich Arbeitgeber wie Sklavenhalter.“ Ich weiß, das ist ein harter Vergleich, und wahrscheinlich war er auch gar nicht so gemeint. Aber er zeigt, wie tief die Erschöpfung bei vielen sitzt. Es geht nicht nur um Stress oder Arbeitsbelastung. Es geht um ein Lebensgefühl, das sich eingeschlichen hat: ausgenutzt, austauschbar, an der Grenze.
In meinen Gesprächen mit Menschen taucht dieses Thema immer wieder auf. Erschöpfung. Keine Zeit mehr für sich selbst. Arbeitgeber, die über Grenzen hinweggehen, weil der Arbeitsmarkt ja „genügend andere“ bietet. Wer nicht mehr kann, wird ersetzt. Wer krank wird, macht halt Probleme. Und wenn jemand kündigt, ist das nur ein kleiner Riss in der Betriebsstruktur.
Ich habe meinem Gegenüber damals ein Bild mitgegeben, das mich schon lange begleitet: Eine Firma ist wie ein Garten. Und ein Garten kann verkommen, trocken, verwildert sein. Dann sieht man das von außen, spricht vielleicht im Ort über den Zustand, aber dem Besitzer ist das egal. Oder man pflegt den Garten. Hackt ihn, gießt, düngt die Pflanzen, lässt schöne Blumen und Gemüse wachsen. Dann beginnt er zu blühen, zu leben. Und alle sehen es.
Auch Unternehmen haben einen Ruf, so sichtbar wie das Gesicht eines Gartens. Manche gelten als lebendige Orte, an denen Menschen wachsen, aufblühen, sich entfalten dürfen. Andere hingegen wirken wie ausgezehrte Felder, auf denen man nur noch das Letzte herauspressen will – ungeachtet des Zustands des Bodens. Wo Zeitarbeitsfirmen zur Regel, befristete Verträge zur Strategie und chronische Unterbesetzung zum Dauerzustand werden, dort zeigt sich: Hier wird nichts mehr genährt, hier wird nur noch geerntet.
Vorausschauende Unternehmer verstehen ihr Unternehmen wie einen lebendigen Garten. Sie verstehen, dass Menschen keine Maschinen sind, sondern Lebewesen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Sie wissen, dass es langfristig erfolgreicher ist, wenn man seine Mitarbeitenden stärkt, wachsen lässt, sie in ihren Stärken fördert.
Studien bestätigen das, was viele im Alltag erleben: Burnout, stille Kündigung, innerer Rückzug nehmen zu. Laut einer Umfrage der pronova BKK von 2024 halten sich 61 Prozent der Beschäftigten für burnout-gefährdet. Und eine Studie von YouGov spricht davon, dass jede dritte Person ständig erreichbar ist und darunter leidet. Erschöpfung ist kein individuelles Problem mehr. Es ist ein gesellschaftliches Warnsignal.
Ich glaube, die Zukunft wird eine andere Form von Arbeit brauchen. Eine, in der Menschen sich Aufgaben suchen, die sie erfüllen. In der Arbeitgeber nicht mehr bloß “Stellen” besetzen, sondern den Menschen hinter der Aufgabe wahrnehmen. Denn wenn die Zahl der Arbeitskräfte abnimmt, wenn wir – wie alle Statistiken zeigen – immer weniger junge Menschen haben, dann müssen sich die Unternehmen ändern. Wer Menschen gewinnen will, muss Raum schaffen. Für Entwicklung, für Gesundheit, für Menschlichkeit.
Ich stelle mir eine Zukunft vor, in der Technik uns entlastet, nicht kontrolliert. In der Maschinen dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. In der der Mensch nicht gekauft wird wie auf einem Sklavenmarkt, sondern eingeladen ist, sich mit seiner Kreativität einzubringen. Und das mit Freude.
Denn Freude an der Arbeit ist kein Luxus. Es ist die Grundlage für jede gesunde Gesellschaft. Alle anderen Modelle werden auf Dauer nicht bestehen. Vielleicht ist genau jetzt der Moment gekommen, in dem aus der Erschöpfung unserer Zeit etwas Neues wachsen kann – ein Anfang, der den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellt.

