Vollgas im Garten: Wie eine Seifenkiste und ein alter Helm mir die Freiheit schenkten
Wenn ich heute dieses alte, leicht verblasste Foto von mir betrachte, spüre ich sofort wieder dieses ganz spezielle Kribbeln im Bauch, das man nur als Kind hat. Da sitze ich nun, mitten im heimischen Garten, die Hände fest um das kleine Lenkrad geklammert, den Blick stur geradeaus gerichtet, als gäbe es nur mich und die imaginäre Rennstrecke. Das Herzstück dieses Bildes ist aber zweifellos meine Kopfbedeckung. Es ist ein alter, viel zu großer Feuerwehrhelm aus Blech, der fast meinen ganzen Kopf verschluckt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich an diesen Schatz gekommen bin. Es war ein klassisches Tauschgeschäft unter Freunden auf der Straße, bei dem Matchbox-Autos oder Comichefte gegen diesen Helm den Besitzer wechselten. Ich weiß es nicht mehr genau. Für mich war er nicht einfach nur ein Schutzgegenstand, sondern eine Trophäe, die mich unverwundbar machte. In meiner Fantasie war ich damit bereit für jedes Abenteuer, egal wie steil der Berg vor unserem Haus auch sein mochte.
Ein Tauschgeschäft für die Sicherheit
Mein Bruder und ich waren damals echte Konstrukteure unserer eigenen Träume. Wir wussten nichts von Aerodynamik oder professionellem Fahrzeugbau, aber wir hatten Holzbretter, alte Räder und einen unbändigen Willen, etwas zu erschaffen, das rollt. Unsere Seifenkisten waren weit entfernt von den glatt polierten Boliden, die man später im Fernsehen sah. Sie waren rau, sie waren kantig, und sie waren unser ganzer Stolz. Die Lenkung funktionierte meist über ein einfaches Seilzugsystem, bei dem man hoffte, dass der Knoten hält, wenn man bei voller Fahrt in die Kurve ging. Wir verbrachten Stunden damit, an unseren Kisten zu schrauben, immer auf der Suche nach dem nächsten Adrenalinkick. Wenn wir uns dann den Berg in der Schwarzenbergstraße hinunterstürzten, gab es keine Angst, sondern nur diesen herrlichen Rausch der Geschwindigkeit, den Wind im Gesicht und das Rattern der Räder auf dem Asphalt. Wir waren Pioniere auf unserer eigenen Straße, und der Feuerwehrhelm auf meinem Kopf war das Symbol dafür, dass wir alles wagen konnten.
Demokratie auf vier kleinen Rädern
Was wir damals in unserem jugendlichen Leichtsinn überhaupt nicht ahnten, war die tiefe historische Bedeutung, die in unserem Spielzeug steckte. Wir wollten einfach nur Spaß haben, doch eigentlich waren wir Teil einer Bewegung, die direkt nach dem Krieg von den Alliierten, speziell den Amerikanern, ins Leben gerufen wurde. Die amerikanischen Soldaten brachten die Idee der Seifenkistenrennen, das sogenannte Soap Box Derby, als Teil ihrer Jugendarbeit nach Deutschland. Es ging ihnen dabei um viel mehr als nur Zeitvertreib. In einem Land, das moralisch und physisch in Trümmern lag, wollten sie der deutschen Jugend Werte wie Fairplay, gesunden Wettbewerb und Eigenverantwortung vermitteln. Statt zu marschieren, sollten wir basteln. Es war im Grunde ein demokratisches Umerziehungsprogramm, getarnt als rasantes Hobby. Die Vorstellung, dass aus den Resten des Krieges etwas so Verbindendes und Friedliches entstand, berührt mich heute zutiefst. Wir rollten auf den Spuren einer großen Versöhnungsgeste den Berg hinunter, ohne uns der politischen Dimension bewusst zu sein, und vielleicht war genau das der größte Erfolg dieser Initiative.
Der Rausch der Geschwindigkeit ohne Bremse
Heute blicke ich mit einer Mischung aus Wehmut und Dankbarkeit auf diese Zeit zurück. Es war eine Ära, in der das Glück nicht in teuren Gadgets lag, sondern in der Freiheit, aus dem Nichts etwas Eigenes zu schaffen. Wir brauchten keine digitalen Welten, denn unser Abenteuer wartete direkt vor der Haustür. Die Erinnerung an das Gefühl, wenn die Schwerkraft einen gepackt hat und man nur noch Passagier seiner eigenen Konstruktion war, ist bis heute lebendig. Es war eine Schule des Lebens, in der wir lernten, dass man hinfallen kann, solange man wieder aufsteht, den Staub abklopft und den Helm wieder richtet. Mich würde brennend interessieren, ob Du ähnliche Erinnerungen hast. Hast Du früher auch an Seifenkisten geschraubt oder bist Du vielleicht mit Deinen eigenen Kindern schon einmal bei einem Rennen gestartet? Erzähl mir unbedingt von Deinen wildesten Fahrten und Konstruktionen unten in den Kommentaren.
Euer Schimon
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