Unsere Welt von morgen

Warum länger arbeiten nicht die Zukunft ist

Heute Morgen habe ich bei einer Tasse Kaffee die Nachrichten überflogen, so wie ich es oft tue. Eine Schlagzeile hat mich sofort gepackt: Die Bundeswirtschaftsministerin fordert, dass wir in Deutschland künftig deutlich länger arbeiten sollen – aus demografischen Gründen, wegen der Rentenkassen, für die Wettbewerbsfähigkeit. Ich habe den Artikel gelesen, ihn ein zweites Mal überflogen und dann erst mal tief durchgeatmet.

Denn während ich da saß, früh am Tag, noch mit der Ruhe im Kopf, die der Morgen manchmal schenkt, wurde mir wieder klar, wie sehr diese Diskussion am eigentlichen Punkt vorbeigeht.

Es geht nicht um Faulheit. Es geht um Richtung.

Die Idee, dass die Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme darin liegt, den Menschen noch mehr Arbeitszeit abzuverlangen, ist nicht nur müde, sie ist rückwärtsgewandt. Sie ignoriert all das, was sich längst verändert hat – und was uns eigentlich befreien könnte.

Denn während Politiker über Lebensarbeitszeit diskutieren, ist die Welt, in der diese Arbeit stattfindet, längst eine andere geworden. Wir leben in einer Zeit, in der Maschinen lernen, Roboter bauen, Künstliche Intelligenz Texte schreiben, Autos selbst fahren und Solarpanels Häuser versorgen. Warum sprechen wir dann immer noch über „mehr arbeiten“, als wären wir in einer Kohlenzeche des 20. Jahrhunderts gefangen?

Wir stehen an der Schwelle zu etwas Großem. Die Technik entwickelt sich schneller, als unsere gesellschaftlichen Strukturen folgen können. In vielen Bereichen sind Maschinen längst effizienter als wir – nicht, um uns zu ersetzen, sondern um uns Räume zu schaffen. Räume für Menschlichkeit, für Pflege, für Kreativität, für Beziehungen, für das, was keine Maschine je können wird: mitfühlen, zuhören, verzeihen, träumen.

Doch statt diese Räume zu gestalten, sollen wir sie schließen – indem wir sie mit noch mehr Erwerbsarbeit füllen.

Das ist nicht Zukunft. Das ist Angst.

Wenn wir uns trauen würden, aus einem anderen Blickwinkel zu denken, würden sich ganz neue Fragen öffnen: Wie können wir den Produktivitätsgewinn der Technik gerecht verteilen? Warum ist Arbeit überhaupt noch so eng mit Existenzsicherung verknüpft? Wäre es nicht sinnvoller, über ein solidarisch finanziertes Grundeinkommen zu sprechen, als über die Frühverrentung zu schimpfen?

Ich glaube, dass unsere Enkel nicht nur anders arbeiten werden – sie werden anders leben. Sie werden sich wundern, wie sehr wir uns über Arbeitszeit definiert haben. Vielleicht werden sie lachen über Begriffe wie „Rente mit 67“. Vielleicht werden sie sagen: Ihr hattet doch die Technik. Warum habt ihr sie nicht genutzt, um Menschen mehr Zeit zu schenken?

Ich weiß, dass viele sich sorgen. Über das System, über das Geld, über die sogenannte Leistungsträger-Logik. Aber vielleicht müssen wir gar nicht alles wissen, um anders zu handeln. Vielleicht genügt manchmal der Mut, eine Richtung zu wechseln. Von „Mehr“ zu „Genug“. Von „Ertragen“ zu „Gestalten“.

Mit diesem Artikel beginnt eine neue Reihe hier auf meinem Blog. Ich nenne sie „Unsere Welt von morgen“. Es ist ein Versuch, über das hinauszudenken, was uns täglich als „alternativlos“ verkauft wird. Ich möchte Gedanken teilen, Szenen entwerfen, Fragen stellen – über Arbeit, Technik, Gemeinschaft, Freiheit und Sinn. Nicht als Experte. Sondern als Mensch, der sich fragt: Wenn wir heute nicht anfangen, anders zu denken – wann dann?

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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