Stark durchs Leben

Herbst: Zwischen Laub und Lebensweisheit – Warum mich der heutige Vormittag ans Leben erinnert hat

Heute Morgen war ich viel unterwegs. Draußen, im Auto, zwischen grauen Wolken und nasser Straße. Der Tag begann so, wie man es an diesen späten Herbsttagen kennt – kühl, feucht, ein bisschen trüb. Alles sah nach Regen aus, als hätte sich das Wetter mit den grauen Tagen gegen mich verbündet.

Wir hatten ja die letzten Tage viel Wind und Regenwetter – alles grau in grau. Und Hand aufs Herz: Das drückt auch aufs Gemüt.

Doch gegen neun Uhr passierte etwas Wunderbares. Der Himmel riss plötzlich auf und die Sonne kam durch. Es war, als hätte jemand den Vorhang beiseite gezogen und die Bühne des Herbstes in warmes Licht getaucht.

Ein bunter Berg und ein nachhaltiger Gedanke

Nach all dem Grau war das wie ein tiefes Aufatmen. Ich fuhr gerade von Heilbronn nach Weinsberg – vielleicht kennst Du die Region. Dort steht die Burgruine Weibertreu, die majestätisch auf einem Kegelberg thront. Die Sonne fiel genau auf die Weinberge und in das Tal. Plötzlich war alles bunt und sonnenbeschienen. Mir ging das Herz auf.

Ich musste anhalten.

Auf dem Parkplatz lag trockenes Laub, das vom Wind getrocknet war. Ich bin hindurch gelaufen, und das Rascheln unter den Schuhen war wie Musik – das pure, unverfälschte Geräusch dieser Jahreszeit. Genau in diesem Moment, inmitten des fallenden Laubes, kam mir ein Gedanke, der mich seither begleitet. An diesem Gedanken möchte ich euch teilhaben lassen.

Der ewige Kreislauf des Kommens und Gehens

Es ist jedes Jahr dasselbe: Ein Kommen und ein Gehen. Die Blätter fallen ab, und die ganze Natur bereitet sich auf den Winter vor.

Dieser Vorgang erinnerte mich nicht nur ans Sterben, sondern auch ans Älterwerden. Eine Generation kommt, eine andere geht. Das ist der Lauf der Dinge.

Vor ein paar Wochen hatten wir eine große Familienfeier. Alle Nachkommen meiner Großeltern waren versammelt – Kinder, Enkel, Urenkel. Es war wunderschön, all diese „Früchte“ an einem Ort zu sehen: Nachkommen, alle aus einem einzigen Ehepaar hervorgegangen.

Ich dachte: Ist das nicht etwas Wunderbares, wenn man das erleben darf?

Wir sprechen ja nicht umsonst von einem Stammbaum. Und ein Baum, der bringt nun mal Frucht. Auf unserer Feier gab es so viele Früchte – Kinder, Enkel, Urenkel. Jeder von ihnen trägt ein Stück Geschichte in sich, ein Stück meiner Großeltern, das weiterlebt.

Von der ersten Generation, den Kindern meiner Großeltern, lebt nur noch der jüngste Sohn: mein Vater. Er wird im November 90 Jahre alt. Und wie ihr ja wisst, begleite ich meine Eltern in ihrem hohen Alter. Ich genieße diese gemeinsamen Momente.
Ja, ich denke immer wieder darüber nach, wie eine Generation geht, die andere kommt. Und wir – wir werden auch älter. Irgendwann werden auch wir gehen.

Die Frage nach dem halbvollen Glas

Ich merke es ja selbst. Manchmal tut es hier weh und dort zwickt es, da kommen die kleinen Zipperlein. Und wenn man “im Herbst” unterwegs ist, kann man alles negativ sehen. Man kann das Glas halb leer sehen:

„Das Wetter ist schlecht, es stürmt, die Blätter vor der Tür muss ich wegkehren. Ach, jetzt wird es kälter, man muss heizen, was das wieder kostet.“

Genauso ist es mit dem Alter. Man kann alles negativ sehen: Morgens aufstehen, das Kreuz tut weh, das Einkaufen ist mühsam. Das sind kleine, alltägliche Herausforderungen – und sie gehören für viele ältere Menschen zum Leben. Ich könnte die Liste lange fortführen.

Aber man kann auch anders hinschauen – und sehen, dass das Glas halb voll ist.

Wie schön ist der Herbst! Die bunten Blätter, das Rascheln, wenn man durchs Laub geht. Und wie leuchten die Farben, wenn die Sonne kurz hervorkommt! Sie zeigt sich vielleicht seltener, aber wenn sie es tut, ist es ein Anblick von unbeschreiblicher Schönheit.

Ja, man muss heizen, und manchmal ist es kalt. Aber ist es nicht auch gemütlich, drinnen zu sitzen, eine Kerze brennt, ein heißer Früchtetee steht auf dem Tisch und ein gutes Buch in der Hand? Das sind doch schöne, manchmal sogar romantische Momente.

Freude trotz Zipperlein

Die Frage bleibt: Sehen wir das Glas halb voll oder halb leer?

Gerade, wenn man älter wird, ist der Blick aufs halbleere Glas oft naheliegend – verständlich, aber nicht alternativlos. Man könnte doch sagen:

„Ach, wie bin ich froh, dass ich jeden Morgen aufstehen kann – auch wenn mein Kreuz mal wehtut. Wie dankbar bin ich dafür!“ „Und wie freue ich mich, wenn jemand kommt und für mich einkauft, mit dem ich mich austauschen und dem ich meine Dankbarkeit zeigen kann.“

Das heißt ja nicht, dass ich jetzt alles schönreden will. Ich weiß, im Alter kommt so manches, und manches ist nicht leicht.

Ich denke oft an einen Satz, den mir mal jemand gesagt hat:
„Wir sterben täglich – bis wir daran zu Tode kommen.“

Das klingt hart, aber es steckt viel Wahrheit darin. Unser Körper verändert sich, manches wird schwerer. Aber auf der anderen Seite dürfen wir uns trotzdem über all die kleinen Dinge freuen, die wir tagtäglich erleben dürfen.

Solange das Essen schmeckt.
Solange uns die Sonne wärmt.
Solange wir noch staunen können über ein buntes Blatt, das im Wind tanzt, und über das Rascheln unter unseren Füßen.

Dann ist das Glas nicht halb leer.
Dann ist es halb voll – und manchmal, für einen kurzen Moment, sogar randvoll mit Leben.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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