Unsere Welt von morgen

Socken stopfen, Nachhaltigkeit und Work-Life-Balance

Heute Morgen, als ich meine Socken anzog, fiel mir plötzlich eine Szene aus dem Nachtcafé ein. Da saß eine ältere Dame in der Runde, und es ging um Nachhaltigkeit – genauer gesagt, um den Vorwurf der jungen Generation, dass ihre Eltern und Großeltern an vielem schuld seien, was heute schiefläuft: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Ressourcenverschwendung. Die Frau saß ruhig da, lächelte leicht und sagte: „Nein, das sehe ich anders. Unsere Generation war nachhaltig.“ Und dann begann sie zu erzählen: Vom Sockenstopfen, vom Sparen, vom Reparieren, vom bewussten Umgang mit Energie. Sie erzählte, dass Dinge früher eben nicht einfach weggeworfen wurden, sondern gepflegt, geflickt und weiterverwendet.

Während ich also da stand, meine Socken anzog und an diese Frau dachte, wurde mir bewusst, wie sehr sich unsere Welt verändert hat. Ich selbst bin jemand, der Kleidung lange trägt. Wenn mal was kaputtgeht, dann wird eben genäht. Zum Glück kann meine Frau das – und sie hat schon so manches Kleidungsstück wieder gerettet. Eine Jeans mit eingerissenem Taschenfutter? Kein Grund, sie wegzuwerfen. Von außen sieht sie noch gut aus, und sie erfüllt ihren Zweck. Das war früher selbstverständlich – heute ist es fast schon ein Statement.

Nachhaltigkeit braucht Zeit

Wir reden heute so viel von Work-Life-Balance, von Entschleunigung, vom „Chillen“ und „Me-Time“. Aber wenn man ehrlich ist: Diese Balance hat oft nichts mit echter Nachhaltigkeit zu tun. Wer den ganzen Abend auf TikTok scrollt oder Serien schaut, hat keine Zeit, Socken zu stopfen. Wer jedes Jahr zwei Urlaube braucht, um vom Alltag abzuschalten, hat keine Muße, Marmelade einzukochen oder Kompott zu machen. Früher war das anders. Da saß man zusammen in der Stube, sprach miteinander, während man nebenbei Dinge reparierte, Gurken einlegte oder Wäsche flickte. Das war auch eine Art von Balance – nur eben eine andere.

Ich besuche manchmal das Freilandmuseum, einfach weil mich diese Welt fasziniert. Da steht man in einer alten Stube, es riecht nach Holz und Stoff, und man spürt, wie viel Ruhe in diesen einfachen Tätigkeiten lag. Das war keine romantisierte Vergangenheit – das war gelebte Nachhaltigkeit. Heute nennen wir das „DIY“ und kaufen teure Werkzeuge oder Kurse, um wieder zu lernen, was früher selbstverständlich war.

Mir ist klar geworden: Wer Zeit zum „Nichtstun“ haben will, hat keine Zeit, Dinge zu reparieren. Wer sich ständig Neues gönnt, hat keinen Bezug mehr zu dem, was er schon hat. Und so dreht sich die Konsumspirale weiter – mit dem guten Gefühl, nachhaltig zu leben, weil man das Altglas brav in den Container wirft. Aber Recycling ist nicht Nachhaltigkeit. Nachhaltig ist, gar nicht erst Neues zu kaufen. Oder etwas so lange zu nutzen, wie es eben geht.

Alte Werte, neue Einsicht

Ich erinnere mich, dass die Firma Weck einmal in Schwierigkeiten geraten ist, weil kaum noch jemand eingemacht hat. In meiner Kindheit standen unzählige Einmachgläser im Keller – mit Gummiringen, Metallspangen und dem typischen „Plopp“-Geräusch beim Öffnen. Heute sind diese Gläser fast ein Retrotrend. Man kauft sie, um sie hübsch zu dekorieren, nicht um sie zu benutzen. Dabei steckt darin so viel Weisheit: Wiederverwenden, Bewahren, Schätzen.

Und genau da liegt der Kern des Problems. Wir werfen zu schnell weg – Dinge, die noch funktionieren, und manchmal auch Werte, die uns eigentlich guttun würden. Ich merke das bei mir selbst: Mein alter VW Sharan, ein Diesel mit Katalysator und grüner Plakette. Viele haben mir geraten, ihn endlich zu ersetzen. Kupplung kaputt, Einspritzdüsen kaputt, hoher Kilometerstand. Aber ich habe ihn reparieren lassen. Weil ich ihn liebe – und weil ich überzeugt bin, dass es nachhaltiger ist, etwas zu erhalten, als ständig Neues zu kaufen. Ein neues Auto kostet nicht nur Geld, es verschlingt Rohstoffe, Energie, und jedes Neufahrzeug produziert allein bei der Herstellung Unmengen an CO₂. Da ist mein alter Sharan, den ich als Mini-Camper nutze und mit dem ich schon so viele Reisen gemacht habe, doch die bessere Entscheidung.

Natürlich gibt es Grenzen. Wenn etwas wirklich kaputt ist, wie neulich unser Fernseher, dann bleibt einem manchmal nichts anderes übrig. Aber selbst da habe ich überlegt: Brauche ich wirklich ein großes Gerät? Nein. Ein kleiner Fernseher reicht. Es geht nicht darum, ganz auf Konsum zu verzichten – sondern um bewusste Entscheidungen.

Ich glaube, wenn wir ehrlich sind, könnten wir alle wieder ein Stück von dieser alten Generation lernen. Socken stopfen, Gläser auswaschen, Dinge reparieren – das ist mehr als Nostalgie. Es ist Haltung. Und vielleicht der wahre Weg zu einer Work-Life-Balance, die nicht auf Freizeit, sondern auf Zufriedenheit basiert.

Peter Winkler ist Aquaponiker, Coach und Blogger. Sein theologisches Studium war die Basis für eine langjährige Tätigkeit in der sozialen Arbeit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Aquaponik. Durch seine Expertise entstanden mehrere Produktionsanlagen im In.- und Ausland. Mit dem Blog "Schimons Welt" möchte er die Themen teilen, die ihn bewegen und damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten.

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