
Kommerzielle Aquaponik – Zwischen Euphorie und Ernüchterung
Wenn ich in den letzten Jahren etwas gelernt habe, dann das: Aquaponik weckt große Hoffnungen. Kaum jemand, der das Konzept zum ersten Mal hört, ist nicht begeistert. Fische und Pflanzen im gleichen Kreislauf – eine Symbiose, die fast wie ein Versprechen klingt. Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, gesunde Lebensmittel, alles in einem System. Viele, die diese Idee entdecken, spüren sofort das Potenzial. Und genau da beginnt oft die Geschichte, die später im Frust endet. Denn zwischen Begeisterung und betriebswirtschaftlicher Realität liegen Welten.
Ich habe in all den Jahren viele Menschen getroffen, die überzeugt waren, dass es ganz einfach sei, eine kommerzielle Anlage aufzubauen. Ein paar Becken, ein Gewächshaus, Pumpen, Rohre – fertig. Doch wer so denkt, unterschätzt die Komplexität. Es ist ein Denken, das gefährlich werden kann, weil es Projekte scheitern lässt, noch bevor sie richtig begonnen haben. Immer wieder verschwinden ambitionierte Farmen vom Markt. Und die Frage, die bleibt, lautet: Woran liegt es?
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Die Hürden auf dem Weg zur Wirtschaftlichkeit
Der erste Stolperstein sind oft die Finanzen. Schon der Einstieg kostet viel mehr, als manch einer glaubt. Eine Anlage, die nicht nur für den Hausgebrauch taugt, sondern wirklich Erträge liefern soll, verlangt hohe Investitionen. Das Gebäude, die Technik, die Infrastruktur – das alles summiert sich schnell. Wer nicht von Anfang an realistisch kalkuliert, gerät in Bedrängnis, sobald die ersten unerwarteten Rechnungen ins Haus flattern. Auch die laufenden Kosten werden häufig unterschätzt. Energie frisst einen beträchtlichen Teil des Budgets – Heizung, Beleuchtung, Pumpen, Klimatisierung. Besonders in kalten Winternächten oder heißen Sommerwochen kann das die Rentabilität kippen. Hinzu kommen Personalkosten, die selten im vollen Umfang bedacht werden. Aquaponik ist kein Selbstläufer. Wer alles per Hand steuert, steht im Dauereinsatz. Wer automatisiert, braucht Kapital. Und schließlich die Märkte: Aquaponik-Produkte konkurrieren mit Gemüse und Fisch aus etablierten Betrieben, die oft günstiger produzieren können. Wer seinen Salat verkaufen will, muss also mehr bieten – bessere Qualität, besondere Frische, regionale Nähe oder eine Geschichte, die überzeugt. Ohne durchdachtes Marketing bleibt selbst das schönste Produkt liegen.
Während die betriebswirtschaftlichen Fragen schon schwer genug sind, kommt die Technik als zweite große Hürde hinzu. Aquaponik ist ein komplexes Ökosystem. Es geht nicht nur um Fische und Pflanzen, sondern auch um Milliarden unsichtbarer Helfer: Bakterien, die den Stickstoffkreislauf in Gang halten, Mikroorganismen, die das System stabilisieren oder aus dem Gleichgewicht bringen können. Die Balance zwischen diesen Elementen ist empfindlich. Pflanzen brauchen Nährstoffe, die im Fischfutter nicht in ausreichender Menge enthalten sind. Eisenmangel etwa ist ein Klassiker, der ganze Ernten ruinieren kann. Umgekehrt können sich Schadstoffe wie Ammonium oder Nitrit anreichern und für Fische toxisch werden. Fische lieben meist einen eher alkalischen pH-Wert, Pflanzen bevorzugen es leicht sauer – dazwischen den richtigen Bereich zu halten, erfordert ständige Aufmerksamkeit. Hinzu kommt die Gefahr technischer Ausfälle. Ein Stromausfall, eine verstopfte Leitung oder ein vergessenes Ventil – und innerhalb weniger Stunden kann eine komplette Fischpopulation verenden. Ich erinnere mich an das Beispiel des ASTAF-PRO-Projekts in Berlin, wo nach einem Stromausfall über 150 Kilo Tilapia starben. Solche Erfahrungen prägen. Sie zeigen, dass man sich auf Technik nie blind verlassen darf, sondern Notfallpläne und Redundanzen braucht. Auch die Auswahl von Pflanzen und Fischen will durchdacht sein. Nicht jede Kombination passt zusammen. In NFT-Systemen können lange Wurzeln die Rohre verstopfen, bei falschen Temperaturen stagnieren Wachstum und Erträge. Und wenn einmal Krankheiten ins System geraten, verbreiten sie sich blitzschnell über das Wasser. Chemische Pflanzenschutzmittel sind tabu – zu groß das Risiko, die Fische oder die nützlichen Bakterien zu schädigen.
Ein weiterer Grund, warum so viele Projekte ins Straucheln geraten: Das Wissen über großtechnische Aquaponik steckt noch immer in den Kinderschuhen. Viele Studien basieren auf kleinen Versuchsanlagen, deren Ergebnisse sich nur schwer auf große Farmen übertragen lassen. Hinzu kommt, dass Fachleute fehlen. Es gibt viele begeisterte Quereinsteiger, aber nur wenige, die das komplexe Zusammenspiel wirklich verstehen. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen machen es nicht einfacher. In Europa ist Aquaponik mit Hydroponik beispielsweise von der Bio-Zertifizierung ausgeschlossen. Wer auf „Bio“ setzen will, stößt schnell an Grenzen. Genehmigungsverfahren sind oft unklar, und je nachdem, in welchem Land man arbeitet, sieht die Situation völlig anders aus.
Was erfolgreiche Projekte zeigen
Es gibt zahlreiche Beispiele für Projekte, die am Ende nicht überlebt haben. In Rotterdam scheiterte eine bekannte Urban Farm, weil das Heizsystem den Winter nicht verkraftete. In den USA gab es Betriebe, die ihre Tomatenproduktion nicht wirtschaftlich betreiben konnten, weil die Nährstoffdynamik im System nicht ausgereift war. Und doch – jedes dieser Beispiele zeigt auch, wo die Schwachstellen liegen. Wer hinschaut, kann daraus lernen. Denn es gibt auch die andere Seite. Erfolgreiche Anlagen, die zeigen: Aquaponik kann wirtschaftlich betrieben werden. Das System der University of the Virgin Islands etwa gilt bis heute als Vorbild. Über Jahre hinweg konnten dort Tilapia und Salat produziert werden, mit stabilen Erträgen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten hat ein Unternehmer in der Oasenstadt Al Ain bewiesen, dass sich mit Aquaponik sogar in der Wüste hohe Erträge erzielen lassen – bei 90 Prozent weniger Wasserverbrauch als in der konventionellen Landwirtschaft. Diese Farm produziert jährlich 150.000 Kilo Obst und Gemüse und 50.000 Kilo Tilapia. Auch in den USA gibt es Beispiele: In Newburgh im Bundesstaat New York betreibt eine große Anlage erfolgreich den Verkauf von Fischen und Gemüse an lokale Märkte und Restaurants. Und in Denver beliefert das Projekt The GrowHaus die umliegenden Gemeinden mit frischen Lebensmitteln und verbindet Produktion mit Bildungsarbeit. Diese Beispiele machen Mut. Sie zeigen, dass Aquaponik nicht nur ein Traum bleibt, sondern Realität sein kann. Voraussetzung ist allerdings, dass man den Weg realistisch einschätzt, dass man weiß, worauf man sich einlässt, und dass man die Balance zwischen Technik, Biologie, Wirtschaft und Markt im Blick behält.
Für mich verbindet sich hier auch das Projekt Schimons Welt mit meiner Arbeit in der Aquaponik. Denn beides hat mit Ehrlichkeit zu tun. Mit der Bereitschaft, nicht nur das Schöne und Begeisternde zu erzählen, sondern auch die Schwierigkeiten. Mit der Einsicht, dass das Verwirklichen von Träumen Arbeit kostet – und dass Enttäuschungen Teil des Weges sind. Ich bin überzeugt: Aquaponik ist keine schnelle Lösung, kein Selbstläufer. Aber sie ist eine Chance. Eine Chance, Landwirtschaft neu zu denken, nachhaltiger, intelligenter, näher am Kreislauf der Natur. Wer sie ergreifen will, muss bereit sein, Risiken zu tragen, zu lernen und dranzubleiben. Vielleicht ist das die wichtigste Lektion: Aquaponik ist kein einfacher Weg. Aber für die, die ihn mit Geduld und Klarheit gehen, kann er ein sehr lohnender sein.
Zum Schluss möchte ich Dich einladen, in den Kommentaren Deine eigenen Beispiele zu teilen. Kennst Du Anlagen, die erfolgreich und wirtschaftlich betrieben werden, vielleicht sogar in Deiner Region? Oder weißt Du von Projekten, die gescheitert sind – und falls ja, woran es gelegen hat? Ich freue mich darauf, diese Erfahrungen zu lesen, denn gemeinsam können wir das Bild der Aquaponik noch klarer zeichnen und voneinander lernen.

