Wenn Beförderung zur Falle wird – meine Erfahrungen mit dem Peter-Prinzip
Manchmal begegnen einem Begriffe erst spät im Leben, und trotzdem beschreiben sie etwas, das man schon lange kennt. Das Peter-Prinzip ist für mich so ein Begriff. Als ich zum ersten Mal bewusst darüber gestolpert bin, war mir sofort klar: Genau das habe ich in vielen Jahren meiner Arbeit immer wieder erlebt. Und plötzlich hatten Situationen, die ich oft beobachtet, aber nie richtig einordnen konnte, einen Namen.
Der Hintergrund dieses Prinzips ist eigentlich schnell erzählt. In den 1960er-Jahren hat der kanadische Pädagoge Laurence J. Peter gemeinsam mit Raymond Hull ein Buch veröffentlicht. Der Titel war provokant, aber ziemlich treffend: „The Peter Principle: Why Things Always Go Wrong.“
Die zentrale Aussage: In hierarchischen Organisationen steigen Menschen so lange auf, bis sie eine Position erreichen, die nicht mehr zu ihren Fähigkeiten passt. Und genau dort bleiben sie dann. Nicht, weil sie unfähig wären – sondern weil sie für die vorherige Aufgabe hervorragend geeignet waren. Die Beförderung war also eine Art Belohnung, führte aber zu einer Rolle, die ein ganz anderes Können verlangt hätte.
Als ich das gelesen habe, musste ich schmunzeln. Ganz ehrlich: Ich habe genau das mehr als einmal erlebt. Ich war viele Jahre in der Sozialen Arbeit tätig, in unterschiedlichen Projekten und Teams. Und obwohl die Bereiche verschieden waren, gab es ein Muster, das sich durch alles zog. Da waren hoch engagierte Kolleginnen und Kollegen, die fachlich unglaublich gut waren. Menschen, die Ruhe in stressige Situationen bringen konnten, die Klienten einfühlsam begleiteten und die aus Überzeugung arbeiteten. Und dann geschah etwas, das auf dem Papier logisch wirkte: Sie wurden befördert.
Von einem Tag auf den anderen ging es nicht mehr um Klientenarbeit, sondern um Personaleinsatz, Dienstpläne, Teambesprechungen, Budgetfragen und Konflikte. Eben um Führung. Und ich konnte oft beobachten, wie aus den besten Fachkräften plötzlich Menschen wurden, die innerlich kämpften. Nicht, weil sie etwas falsch machten, sondern weil Führung schlicht ein eigener Beruf ist – mit eigenen Fähigkeiten, die man lernen muss.
Man sah es ihnen an: Diese neue Rolle fühlte sich nicht nach ihnen an. Natürlich muss man fair sein. Viele Träger und Einrichtungen wussten um diese Gefahr und versuchten gegenzusteuern. Es gab Ausschreibungen, interne Bewerbungsgespräche, Auswahlgespräche. Man wollte vermeiden, dass das Peter-Prinzip zuschlägt. Aber das Problem ist tiefer. Es liegt nicht nur an Strukturen – es liegt am Menschen selbst. Wer Anerkennung bekommt, traut sich oft mehr zu als gut wäre. Und wer leidenschaftlich arbeitet, will auch Verantwortung übernehmen, manchmal ohne genau zu prüfen, ob es wirklich zur eigenen Persönlichkeit passt.
Noch stärker habe ich das Peter-Prinzip allerdings im kirchlichen Kontext erlebt – als Theologe, als jemand, der diese Welt von innen kennt. Vielleicht nimmst du es ähnlich wahr: Kirchen sind in vielerlei Hinsicht besonders anfällig dafür.
Pastoren werden häufig befördert oder eingesetzt, weil sie gute Prediger sind, Menschen bewegen können, Hoffnung geben, charismatisch sind. Fähigkeiten, die unglaublich wertvoll sind – aber mit echter Führung nur am Rand zu tun haben. Predigen ist eine Sache. Ein Team leiten, Konflikte begleiten, Strukturen schaffen und Grenzen setzen ist eine völlig andere.
Ich habe Pastoren erlebt, die im Gottesdienst glänzten, aber im Alltag mit Mitarbeitern überfordert waren. Menschen, die wunderbar reden konnten, aber Schwierigkeiten hatten, ein Team zu führen oder klare Entscheidungen zu treffen. Und ich habe auch gesehen, was das mit Gemeinden macht, wenn jemand in einer Rolle bleibt, die innerlich zu groß geworden ist. Viele Pastoren leiden im Stillen. Viele Gemeinden leiden mit. Man erwartet von ihnen alles: Spiritualität, Organisation, Seelsorge, Leitung, Verwaltung, Präsenz, Kreativität. Und oft entsteht daraus eine Last, die kein Mensch dauerhaft tragen kann. An dieser Stelle eine kurze Randbemerkung: Da ich schon viele Jahre nicht mehr als Theologe arbeite, möchte ich euch an dieser Stelle hier einen Artikel verlinken, wo ich darüber berichte, wie ich den Weg zum Judentum gegangen bin.
Wenn ich heute auf diese Jahre zurückschaue, wird mir bewusst, wie wenig wir darüber reden, was Führung eigentlich bedeutet – und wie schnell wir davon ausgehen, dass jeder automatisch in diese Rolle hineinwachsen kann. Dabei wäre es manchmal gesünder, Menschen dort zu lassen, wo sie richtig gut sind. Oder ihnen zumindest die Zeit und Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um echte Leitungsverantwortung tragen zu können.
Vielleicht sollten wir uns öfter fragen: Muss eine Beförderung zwangsläufig nach oben gehen?
Oder könnte der größte Erfolg eines Menschen darin liegen, in seiner Stärke zu bleiben, ohne Druck, ohne falsche Erwartungen?
Ich glaube fest daran, dass Führung ein eigener Weg ist. Einer, der zu manchen Menschen gut passt – und zu anderen weniger. Einer, der gelernt werden muss. Einer, der Reflexion braucht und reift. Und einer, der Menschen nicht nur fordert, sondern auch verändern kann.
Heute bin ich dankbar für die vielen Erfahrungen, die ich sammeln durfte. Sie haben meinen Blick geschärft. Sie haben mich sensibel gemacht für den Wert guter Führung – aber auch für das Recht darauf, keine Führungskraft sein zu müssen. Und sie haben mich gelehrt, wie wichtig es ist, Menschen nach ihren Stärken einzusetzen, nicht nach ihren Positionen.
Dort, wo Menschen in ihrer Stärke arbeiten dürfen, entsteht nicht nur gute Arbeit – es entsteht auch Kultur. Eine Kultur, die trägt, nährt und wachsen lässt. Und das ist etwas, das ich heute mehr denn je schätze.
Wenn ihr Lust habt, können wir in einem zweiten Teil darüber sprechen, wie gesunde Führung eigentlich aussieht. Und wie man erkennt, ob eine Leitungsrolle wirklich zu einem passt. Ich glaube, das könnte ein spannender Weg werden.
Den Podcast zu diesem Thema findet ihr hier auf YouTube…



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